Reid Hoffman, LinkedIn-Mitbegründer und ein Freund offener Worte, straft verbal seine ganze Unternehmerkaste ab. „Die größte Lüge ist, dass ein Arbeitsverhältnis etwas Familiäres ist“, so Hoffman in seinem neuen Buch The Alliance. Die Familie steht dabei für die unbedingte Loyalität des Arbeitnehmers (wobei es an dieser Stelle müßig ist, darauf hinzuweisen, wer die Arbeit nimmt und wer die Arbeit gibt) gegenüber seinem Arbeitgeber. Und er setzt mit „Du feuerst dein Kind nicht, wenn es schlechte Noten hat“ noch einen drauf.
Hoffman legt damit den Finger in eine Wunde, die auch in Deutschland schwärt. Insbesondere die Generation Y, aber nicht nur sie, ist von prekären Beschäftigungsverhältnissen betroffen und schwebt zwischen Zeitarbeitsverträgen, Praktika und Überstunden hin und her. Die Regeneration, also die Reproduktion der eigenen Leistung, kommt dabei zu kurz. Doch diese ist wesentlich für den Erhalt der Arbeitskraft – letztlich der einzigen Ware, die ein Arbeitnehmer anzubieten hat. Gleichzeitig wird höchster Einsatz verlangt, obwohl der Arbeitgeber kaum etwas für die soziale Sicherung tut. Getreu nach dem Motto: Wer samstags nicht kommt, braucht sonntags nicht wiederkommen.
Absolute Loyalität
Die Unternehmen erwarten, wie in Hoffmans familiären Beispiel, absolute Loyalität, die unschwer mit der von Knappe und Ritter oder Bauer und Landgraf zu vergleichen ist. Und die hieß Leibeigenschaft.
Der DGB-Chef Reiner Hoffmann zog mit diesem Begriff anläßlich des 1. Mai eine bittere Bilanz. „Setzt sich der derzeitige Trend fort, sind vorindustrielle Zeiten mit patriarchalischen Leibeigenen-Systemen nicht mehr weit, bei denen Arbeitsbedingungen vom Goodwill des Chefs abhängen, diesmal digital kontrolliert, mit Löhnen, die höchstens zum Überleben reichen. Es gibt diese Jobs bereits. Sie sind kein Modell für eine Zukunft, nicht für eine Gesellschaft, und nicht für Deutschlands Wirtschaft“, so der Gewerkschaftschef in einem Beitrag für das manager magazin.
80 % unzufrieden
Gerade das führt zu massenhafter Unzufriedenheit unter den abhängig Beschäftigten. 80 % hadern mit ihrem Job. Und diese Zahl ist seit vielen Jahren konstant. Gleichzeitig scheuen sie jedoch den Wechsel des Arbeitsplatzes. Kein Wunder, denn ein anderer würde in der schönen neuen Arbeitswelt nicht viel besser sein. Doch dazu mehr weiter unten.
Mangelnde Flexibilität am Arbeitsmarkt
Durch diesen Prozess ist das kapitalistische System in einer seiner Grundfesten bedroht – der Flexibilität. Denn diese braucht es auch im Bezug auf den Arbeitsmarkt und damit zur generellen und sich ständig wiederholenden Reproduktion. Ein Unternehmen, das keine neuen willigen und vor allem talentierte Arbeitskräfte gewinnt, ist zum Scheitern verurteilt.
Wird hingegen Loyalität von den Arbeitnehmern erbracht, steigern sie sich so in mehr Abhängigkeit des Arbeitgebers. Mit vielfältigen Mitteln wird diese Haltung belohnt (Boni, Feiern, Beförderungen) oder bei Ausbleiben bestraft (Ausschluss von Boni und Beförderungen bis hin zu Mobbing durch die eigenen Kollegen, die das System, indem sie sich eingerichtet haben, bedroht sehen).
Arbeitnehmer, die sich hingegen in patriarchalischen Strukturen eingerichtet haben, werden analog den Leibeigenen nicht wechseln, auch wenn sie im Gegensatz zu diesen die Möglichkeit hätten. Denn, so Hoffmann in seinem Beitrag: „Die Zahl derjenigen, die in so genannter atypischer Beschäftigung stecken, also in Zeitarbeit, Befristung oder geringfügigen Jobs, hat in den vergangenen 20 Jahren um 70 Prozent auf 7,6 Millionen Menschen zugenommen … Arbeit, so scheint es, hat nur noch einen Wert: Dass man sie überhaupt hat, egal unter welchen Bedingungen.“
wird fortgesetzt
Vorschaubild: „Treidler an der Wolga“ (Бурлаки на Волге), Ilja Repin, 1870–1873
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