Foto: freiburg-gutleutmatten.de

Freiburg-​Gutleutmatten: Kleines Tollstück in Sachen Nahwärme

von | 1. Juni 2016

Das Frei­burger Baugebiet Gutleut­matten soll mit einem als innovativ ange­prie­senen Nahwär­me­konzept versorgt werden – via Anschluss­zwang, der rechtlich zulässig ist. Das wäre nicht weiter zu bean­standen, würden sich die Wärme­kosten für die Zwangs­be­glückten in etwa bei den 9 Eurocent je kWh liegen, die dafür aktuell und seit einigen Jahren relativ konstant zu zahlen werden. Doch die Bauherren werden mit 21,1 Eurocent zu Kasse gebeten – mehr als das Doppelte. Kein Wunder, dass die Bauherren sich aufregten und immer noch aufregen.

Teure Forschung, die keine ist

Der Trick dabei: das ganze wird als Forschungs­vor­haben dekla­riert. Doch das ist abwegig. „Man forscht hier an einer Technik, die es meines Erachtens schon seit 30 Jahren gibt“, wundert sich der Frei­burger SHK-​Handwerksmeister Joachim Kreuz zu dem Mix aus einem mit Biogas betrie­benen BHKW und dezen­tralen Solar­ther­mie­an­lagen auf den Haus­dä­chern mit großen dezen­tralen Puffer­spei­chern im Keller, die in das Nahwär­menetz einge­bunden sind. Ausge­dacht hat sich das der regionale Versorger Badenova. Eine öffent­liche Ausschreibung gab es nicht.

Gutachter gibt Bauherren recht

Immerhin, um das aufmüpfige Volk zu beruhigen bestellte die Stadt einen Gutachter. Der unter­suchte die verschie­denen Varianten und kam zu ganz ähnlichen Schlüssen wie die künftigen Bewohner:

  • Er weist darauf hin, dass das Baugebiet aufgrund der sehr geringen Wärme­dichte nicht für ein Nahwär­me­system geeignet ist, was auch schon im ursprüng­lichen, der Vergabe zugrun­de­lie­genden Gutachten fest­ge­stellt wurde. Der gewählte Ansatz mit dezen­tralen Solar­kol­lek­toren verschlimmere dies lediglich.
  • Ein Vergleich in Wärme­kosten pro Wohn­fläche mit Stadt­teilen mit sehr viel höherem Wärme­bedarf, wie von der Stadt vorge­nommen, sei nicht ziel­führend ist. Vielmehr solle durch die Vergleichs­rechnung der Stadt „eine Vergleich­barkeit und ggfs. Akzeptanz sugge­riert werden”.
  • Der Gutachter stellt fest, dass die Wärme­preise gegenüber der „alten Wohn­ge­biete Vauban und Rieselfeld” um „49 % und 66 %” erhöht sind.
  • Er schlägt einen Wärme­kos­ten­ver­gleich mit einem vergleich­baren Nahwär­me­ver­sor­gungs­gebiet in Freiburg vor: Güter­bahnhof Nord. Dort seien die Preise weniger als halb so hoch.
  • Der Gutachter bemerkt, „dass das nun ange­dachte Konzept aus heutiger Sicht wohl kaum noch als innovativ bezeichnet werden würde“ oder gar in der gegen­wär­tigen oder zukünf­tigen Wärme­ver­sorgung eine Rolle spielen kann.
  • Er zeigt alter­native Lösungswege mit gerin­geren Kosten für die Bewohner auf: Als Optimum bezeichnet er eine Insel-​Wärmeversorgung durch KWK-​Anlagen im Eigentum der Bauherren, die auch von den Bauherren vorge­schlagen wurde.
  • Er bemängelt die Verknüpfung von Anschluss­zwang und unter­las­sener Ausschreibung der Anlage.
  • Er sieht das geplante System in Kollision mit dem Kartellrecht.

Eine Menge Holz. Der Stadt­ver­waltung passte dies nicht und verlangte Nach­ar­beiten. Während sie das Gutachten den städ­ti­schen Beratern und der Badenova zur Verfügung stellte, bekamen es die Anwohner nicht zu Gesicht. Erst aufgrund des Antrages auf Akten­ein­sicht von sechs Gemein­de­rats­frak­tionen wurde dies elf Tage später gewährt.

Wie die Sache nun ausgeht, ist noch offen. Für die Bauherren wäre ein neues Ener­gie­konzept ebenso gut wie für die Umwelt. Denn was inef­fi­zient ist, ist auch ökolo­gisch bedenklich. Und: Die Stadt Freiburg, sich selbst als Ökohaupt­stadt Deutsch­lands preisend, hat der Ener­gie­wende eine Bären­dienst erwiesen.


Einen Beitrag, wie effi­ziente Wärme­netze in der Zukunft aussehen könnten, haben meine Energieblogger-​Kollegen von Ecoquent Positions hier verfasst.

Frank Urbansky

Freier Jour­na­list und Fach­au­tor, unter anderem für die Fach­ma­ga­zine und Portale Brenn­stoff­spie­gel, Uniti; DW Die Woh­nungs­wirt­schaft und Immo­bi­li­en­wirt­schaft; Haufe-Lexware; Energie&Management; IVV, Huss Medien; Motor­tech­ni­sche Zeit­schrift und Sprin­ger­Pro­fes­sio­nal; Sprin­ger Fachverlag; SHK Profi und tab, Bau­ver­lag; stadt+werk, k21

0 Kommentare

EnWiPo
EnWiPo
„Wir ziehen immer häufiger Abwärme oder Abwasser in Betracht“

Wir ziehen immer häufiger Abwärme oder Abwasser in Betracht“

Seit diesem Jahr gilt das Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung und Dekarbonisierung der Wärmenetze. Bis 2028 müssen alle Kommunen eine solche Planung vorlegen. Im Interview erklärt Jannik Hartfil, Fachgebietsleiter Kommunale Wärmeplanung bei dem Energienetzbetreiber EWE...

„Wir ziehen immer häufiger Abwärme oder Abwasser in Betracht“

Wir ziehen immer häufiger Abwärme oder Abwasser in Betracht“

Seit diesem Jahr gilt das Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung und Dekarbonisierung der Wärmenetze. Bis 2028 müssen alle Kommunen eine solche Planung vorlegen. Im Interview erklärt Jannik Hartfil, Fachgebietsleiter Kommunale Wärmeplanung bei dem Energienetzbetreiber EWE...

Smart Meter Rollout: Noch rollt wenig

Smart Meter Rollout: Noch rollt wenig

Der Smart Meter Rollout soll helfen Strom zu sparen und Lasten zu kappen. Das könnte Mietern und Verwaltern deutliche finanzielle Vorteile bringen. Doch der Ausbau geht nur schleppend voran. Zudem wären bei einer Einbindung der Wärmeversorgung in den Rollout die...