Foto: Efraimstochter / pixabay

Die Mär vom hinter­her­hin­kenden Stromnetzausbau

von | 9. Juni 2016

Die Mär vom hinter­her­hin­kenden Strom­netz­ausbau ist letztlich die Grundlage für das gestern vom Bundes­ka­binett abge­segnete EEG 2016. Begründet wird damit der abge­bremste Ausbau der Erneu­er­baren mit entspre­chenden Korri­doren, aktuell auch für Biogas, die sich Ausschrei­bungen stellen müssen. Doch die Zweifel an diese Theorie mehren sich. 

Im Tages­spiegel sprach Boris Schucht, Chef des Netz­be­treibers 50Hertz, genau über diesen Mythos. Seiner Meinung nach seien 70 % Erneu­erbare Energien schon jetzt problemlos einzu­koppeln. 2015 machten sie in seinem Netz­gebiet einen Anteil von knapp unter 50 % aus, in diesem Jahre werde man leicht drüber liegen. Es ist also noch Luft nach oben.

Zu einem ähnlichen Schluss kam bereits 2013 der regie­rungsnahe Energie-​ThinkTank Agora. In einer Studie, die zusammen mit dem Fraun­hofer IWES erstellt wurde, heißt es:

Unter reinen Kosten­ge­sichts­punkten ist ein um wenige Jahre verzö­gerter Bau der Trassen des Bundes­be­darfs­plan­ge­setzes nicht kritisch. Der weitere Ausbau der Erneu­er­baren muss auf diese Trassen nicht warten. Während der Ausbau der Netze lang­fristig wichtig ist, ist ein verzö­gerter Netz­ausbau bei allei­niger Betrachtung der Kosten bis 2023 nicht kritisch.

Damit bestä­tigen die Wissen­schaftler Schuchts Sicht­weise, die jedoch bei der Regierung und auch bei den anderen Netz­be­treibern nicht geteilt wird.

Zur Begründung hieß es schon damals, dass durch einen schnellen und voll­stän­digen Netz­ausbau zwar fast fast der gesamte Windstrom inte­griert werden könne. Die Kosten im resi­dualen Erzeu­gungs­system würden um 0,8 Milli­arden Euro pro Jahr sinken. Erkauft würde diese Reduktion jedoch durch den Ausbau des Über­tra­gungs­netzes mit etwa 0,7 Milli­arden Euro pro Jahr. Alles in allem ein mageres Plus von 100 Millionen Euro an Einsparungen.

Als wesentlich effek­tiver sehen Fraun­hofer und Agora im verteilten Ausbau von Windkraft- und Solar­an­lagen. Ein eher an der „verbrauchs­nahen Erzeugung“ orien­tierten Ausbau der Erneu­er­baren führe bei einem verzö­gerten Netz­ausbau im Jahr 2023 sogar zu gerin­geren Gesamt­kosten als bei einem schnellen und voll­stän­digen Netzausbau.

Diese Idee hat die Bundes­re­gierung ja aktuell aufge­griffen, in dem sie die Schwer­punkte Förderung für die Windkraft in zwei Zonen aufteilt. In Zone 1, die den Osten, Westen und Süden Deutsch­lands umfasst, soll das Gros der jährlich 2800 MW errichtet werden. In Zone 2, die Nord­deutschland und große Teile Hessens umfasst, darf in den kommenden Jahren nur noch ungefähr ein Drittel weniger an Wind­kraft­leistung aufgebaut werden als im Durch­schnitt der vergan­genen drei Jahre, so SPON.

In diese Gemengelage hinein fallen aktuelle Pläne der EU, Deutschland in zwei Strom­zonen aufzu­teilen (hier dazu ein Bericht von klima​retter​.info). Im Norden müsste dann weniger bezahlt werden als im Süden. Begründung (keine Ironie): Verzug beim Netz­ausbau und zuneh­mende Strom­ex­porten in die Nach­bar­länder Deutsch­lands (insbe­sondere durch den vielen Windstrom im Norden).

Dieser Über­schuss­strom sei „eine Quelle poli­ti­scher Konflikte und behindert die Inte­gration der west- und osteu­ro­päi­schen Strom­märkte”, so die Kommission. Aller­dings würde die EU damit den Netz­ausbau, mag er über­flüssig sein oder nicht, konter­ka­rieren. Denn unter­schied­liche Preis­zonen sind aus einfachen betriebs­wirt­schaft­lichen Gründen den Inves­ti­tionen abträglich.


Der Erfolg der Windkraft ruft auch Neider auf den Plan. Energieblogger-​Kollege und Sonnen­flüs­terer Erhard Renz befasst sich hier mit der Frage, ob diese wie andere EE-​Branchen auch, mit dem neuen EEG platt­ge­macht werden sollen.

Frank Urbansky

Freier Jour­na­list und Fach­au­tor, unter anderem für die Fach­ma­ga­zine und Portale Brenn­stoff­spie­gel, Uniti; DW Die Woh­nungs­wirt­schaft und Immo­bi­li­en­wirt­schaft; Haufe-Lexware; Energie&Management; IVV, Huss Medien; Motor­tech­ni­sche Zeit­schrift und Sprin­ger­Pro­fes­sio­nal; Sprin­ger Fachverlag; SHK Profi und tab, Bau­ver­lag; stadt+werk, k21

1 Kommentar

  1. Chris

    Schade, dass es da so stockend vorrangeht und dem Bürger die Mehr­kosten garnicht richtig bewusst sind. Ich persönlich würde ja auch eher das Prinzip der verbrauchs­nahen Erzeugung favo­ri­sieren. Schließlich haben wir schon seit einigen Jahren eine Photo­voltaik Anlage auf dem Dach, so wie übrigens mitt­ler­weile fast jedes zweite Haus hier in Bayern.

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