Foto: Willi Heidelbach

Wärme­netze: Dezen­trale Insel-​Lösungen besser

von | 2. März 2016

EnWiPo führte mit Gunnar Eikenloff, der am Wolfen­büt­teler EOS – Institut für ener­gie­op­ti­mierte Systeme forscht, ein Interview zu den Vor- und Nach­teilen sowie der Zukunfts­fä­higkeit von Wärmenetzen. 
Welche grund­sätz­lichen Vor- und Nachteile sehen Sie in Nah- und Fernwärmenetzen?

Gunnar Eikenloff.

Gunnar Eikenloff.

Durch die Nutzung von Fern- oder Nahwär­me­netzen ist man generell in der Art der Wärme­ver­sorgung tech­no­lo­gie­offen, d.h. die Art der Wärme­er­zeugung kann zentral erstellt und im Falle neuer effi­zi­en­terer Tech­no­logie leichter ausge­tauscht werden als bei dezen­tralen Lösungen. Des Weiteren kann bzw. muss zur Wärme­ver­sorgung mittels Fern-​/​Nahwärme Kraft-​Wärme-​Kopplung (KWK) zum Einsatz kommen, um neben der erfor­der­lichen Wärme Strom zu produ­zieren. Aufgrund der hierbei größeren Wärme­ver­bünde ist oftmals ein sinn­voller Einsatz von KWK erst durch eine hohe Grund­wär­me­ab­nahme möglich gegenüber zum Beispiel des Grund­last­an­teils einzelner Wohn­ge­bäude mit dezen­traler Versorgung.

Dennoch ist grund­sätzlich darauf zu achten, dass jede zusätz­liche Fern­wär­me­trasse zusätz­liche Wärme­ver­luste bedeutet, die ungenutzt an das Erdreich über­tragen werden. Aus diesem Grund ist es zwingend erfor­derlich, dass diese Verteil­ver­luste auf ein Minimum reduziert werden und in einem vertret­baren Verhältnis zum eigent­lichen Nutzen – der Wärme­ab­nahme – stehen. Daher sind solche Systeme lediglich bei einer ausrei­chenden Netz­dichte und entspre­chend hoher Wärme­ab­nahme sinnvoll einsetzbar.

Neben der rein ener­ge­ti­schen Betrachtung ist auch die wirt­schaft­liche Sicht­weise nicht zu vernach­läs­sigen. Viele Wärme­netze, die aufgrund even­tu­eller Anreiz­pro­gramme gefördert werden, sind ggf. nur durch diese Förder­summen wirt­schaftlich – nach Auslaufen der Förder­zeit­räume bleiben jedoch Wartungs- und Instand­hal­tungs­kosten bestehen und bewirken nicht selten einen Preis­an­stieg für die Wärme­kunden, um die fort­wäh­renden Kosten tragen zu können. Verstärkt wird dieser Effekt durch die ebenfalls gefor­derten und geför­derten ener­ge­ti­schen Sanie­rungs­maß­nahmen an den Gebäuden, die lang­fristig die Wärme­ab­nahme redu­zieren und die spezi­fi­schen Kosten (€/​kWh), aufgrund sinkender Wärme­ab­nahme und konstanter Fixkosten, steigen lassen.

Wo sehen Sie den zukünf­tigen Platz von Wärme­netzen bei immer effi­zi­en­teren Gebäuden?

Um künftig einen sinn­vollen Einsatz von Wärme­netzen zu recht­fer­tigen, ist grund­sätzlich auf eine dichte Besie­delung mit ausrei­chend Wärme­ab­nahme zu achten. Hierbei sollte heute schon der in Zukunft stark redu­zierte Wärme­ver­brauch der Gebäude berück­sichtigt werden. Wenn man bedenkt, dass heute bereits auch kleinere Insel­lö­sungen mit Kleinst-BHKW’s reali­sierbar sind, sollten in Anbe­tracht der nicht vermeid­baren Verteil­ver­luste solcher großen Netze eher solche dezen­tralen Szenarien zum Einsatz kommen.

Welche grund­sätz­lichen Entschei­dungs­kri­terien legen Sie zugrunde, um die Wirt­schaft­lichkeit eines Wärme­netzes für ein Neubau­gebiet einzuschätzen?

Für die Neuerstellung von Wärme­netzen bzw. den Ausbau bestehender Netze sollte immer ein KWK-​Anteil von mindestens 25 % – besser 50 % – vorge­sehen werden. Der Verteil­nut­zungsgrad des Netzes darf wärme­seitig nicht geringer als 90 % sein (auch lang­fristig bei redu­zierter Wärme­ab­nahme durch ener­ge­tische Moder­ni­sierung der Gebäude). In Zahlen betragen die zu fordernden Kennwerte der Verteil­ver­luste weniger als 10 bis 15 kWh je m²Wohn­fläche und Jahr bzw. 150 bis 250 kWh je Tras­sen­meter und Jahr.

Welche davon abwei­chenden Über­le­gungen gelten für Bestandsgebiete?

Bei bestehenden Netzen gelten auch die Forde­rungen an einen Mindest-​Netznutzungsgrad sowie den KWK-​Anteil. Auch hier sollte der Verteil­nut­zungsgrad über 90 % liegen – mit einem Anteil an Kraft-​Wärme-​Kopplung von mehr als 50 %. Das bedeutet etwa Netz­ver­luste von weniger als 25 bis 30 kWh je m²Wohn­fläche und Jahr bzw. 500 kWh je Tras­sen­meter und Jahr. Sollten diese Forde­rungen mittel- bis lang­fristig nicht reali­sierbar sein, sollte ein Komplett- oder Teil­rückbau der Gebiete mit geringer Abnah­me­dichte in Erwägung gezogen werden.

Welche wohn­flä­chen­be­zo­genen Verteil­netz­ver­luste (in kWh/​m² jährlich) dürfen Ihrer Meinung nach maximal auftreten, damit sich ein Anschluss für ein Neubau­gebiet rechnen kann?

Weniger als 10 bis 15 kWh je m²Wohn­fläche und Jahr

Gelten für den Bestand hier andere Werte?

Ja. Weniger als 25 bis 30 kWh je m²Wohn­fläche und Jahr

Wie (Material, Bauart) lassen sich Netz­ver­luste mini­mieren (etwa im Vergleich in Bezug auf kWh/​a je Meter Trassenlänge)?

Im Grunde lassen sich Wärme­ver­luste durch drei Parameter reduzieren:

  1. Tempe­ratur – je geringer die System­tem­pe­ra­turen, desto geringer die Verluste
  2. Wärme­durchgang (Dämmung) – je dicker bzw. quali­tativ hoch­wer­tiger die Dämmung, desto geringer die Verluste
  3. Fläche – je kleiner der Rohr­quer­schnitt und je kürzer die Leitung, desto geringer die Verluste

Welche Art der Ener­gie­er­zeugung ist Ihrer Meinung nach ideal, um ein Wärmenetz zu bedienen?

In erster Linie sollte die CO2-​Reduktion im Vorder­grund stehen. Unter der Annahme, dass ebenfalls immer KWK zum Einsatz kommen sollte, ist darauf zu achten, dass Strom und Wärme stets gleich­zeitig und gleich­wertig betrachtet werden. Eine Kompen­sation zu Gunsten der Wärme mit geringem CO2- bzw. Primärenergie-​Faktor durch geeignete Allo­ka­ti­ons­ver­fahren darf auf keinen Fall zur Anwendung kommen. Hierbei wird ein Großteil der einge­setzten Primär­energie bzw. des ausge­sto­ßenen CO2 dem Strom ange­rechnet, der in einer Wärme­bilanz nicht Gegen­stand der Betrachtung ist. Sollte Wärme aus beispiels­weise indus­tri­ellen Prozessen ausge­koppelt werden, ist zunächst zu prüfen, inwieweit diese Prozesse selbst ener­ge­tisch optimiert werden können und inwieweit diese mittel- bis lang­fristig bestand­haben. In einigen Fällen kann es dazu kommen, dass solche Prozesse abge­stellt werden oder nicht mehr die Wärme liefern, die gegen­wärtig einge­speist werden würde – Wärme darf auf keinen Fall als „Abfall“ betrachtet werden.

Frank Urbansky

Freier Jour­na­list und Fach­au­tor, unter anderem für die Fach­ma­ga­zine und Portale Brenn­stoff­spie­gel, Uniti; DW Die Woh­nungs­wirt­schaft und Immo­bi­li­en­wirt­schaft; Haufe-Lexware; Energie&Management; IVV, Huss Medien; Motor­tech­ni­sche Zeit­schrift und Sprin­ger­Pro­fes­sio­nal; Sprin­ger Fachverlag; SHK Profi und tab, Bau­ver­lag; stadt+werk, k21

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