Trends im Bürogebäude der Zukunft könnten von solch intelligenter Infratruktur unterstützt werden. Grafik: IGT

Trends im Büro­ge­bäude der Zukunft

von | 1. Dezember 2020

Das Mün­che­ner IGT – Insti­tut für Gebäu­de­tech­no­lo­gie gibt monat­lich Tipps heraus, mit denen Mietern, Ver­wal­tern und TGA-Ver­ant­wort­li­chen die Steue­rung der Haus­tech­nik leicht gemacht werden soll. Im November nun geht es um Trends im Büro­ge­bäude der Zukunft.

In einer umfang­reichen Trend­studie hat das Institut für Gebäu­de­tech­no­logie 85 Thesen zum Smart Building erstellt. Davon wurden die 20 „greif­barsten“ selek­tiert und um konkrete Aussagen zu dem zu verbun­denen Mehrwert und der Komple­xität ergänzt und einer Nutzer­analyse unter­worfen. Die verblei­benden „Top 12“ werden im Folgenden kurz vorgestellt.

Anwen­dungs­fälle in modernen Gebäuden

Im Umfeld von Gebäu­de­au­to­mation ist heute schon viel reali­sierbar. Zu den bishe­rigen Möglich­keiten der Raum- und Anla­gen­au­to­mation stehen dabei zunehmend auch soge­nannte „Mehr­wert­dienste“ zur Verfügung. Das sind Dienste, die sich aufgrund der zuneh­menden Anbindung der klas­si­schen Auto­mation an IT-​basierte Systeme ergeben.

Bei diesem wach­senden Angebot besteht die Gefahr, die Übersicht zu verlieren und deshalb wurde vom Institut für Gebäu­de­tech­no­logie (IGT) im Rahmen einer umfang­reichen Studie eine konkrete Liste von 85 „Anwen­dungs­fällen (use cases)“ als Thesen zusam­men­ge­stellt und beschrieben. Die inno­va­tiven Anwen­dungs­fälle reichen von sehr zeitnah umsetz­baren bis hin zu inno­va­tiven Anwen­dungen, wie sie in den nächsten 1020 Jahren möglich sein sollten. Der Fokus lag dabei auf der Raum­au­to­mation in modernen Büro­ge­bäuden. Im weiteren Verlauf wurden diese Anwen­dungs­fälle in Bezug auf den Umset­zungs­aufwand gegliedert (d.h. wie weit ist bereits heute erfor­der­liche Hardware und Software zu ange­mes­senen Kosten verfügbar) und in Bezug auf einen konkreten Mehrwert bewertet (u.a. auf Basis einer Nutzer­be­fragung). Die „Top 12“ werden im Folgenden kurz vorgestellt.

Ganz­heit­liche Inte­gration statt singu­lärem Bus-System!

Zunächst ein Blick zum Trend der ganz­heit­lichen Vernetzung. Denn unab­hängig davon, wie viele der neuen „Mehr­wert­dienste“ in einem Projekt gefordert sind – es vollzieht sich derzeit ein Wandel der soge­nannten System­ar­chi­tektur. Abbildung 1 zeigt die seit Jahren etablierte System­ar­chi­tektur über drei Ebenen: In der Feld-​Ebene befinden sich die Sensoren und Aktoren, die mit der Automations-​Ebene, d.h. den Controllern der Gebäu­de­au­to­mation (GA) verbunden sind. Diese Verbindung kann entweder über eine direkte Anbindung (d.h. analoge/​binäre Kabel) oder kommu­ni­kative Bus-​Systeme wie KNX, LCN, RS485, M‑Bus, SMI, DALI etc. bzw. funk­ba­sierte Proto­kolle wie z.B. EnOcean erfolgen. Hervor­zu­heben ist, dass ein echtes Smart Building deutlich mehr Sensor­daten benötigt als die klas­si­schen Auto­ma­ti­ons­funk­tionen. Dieser zusätz­liche Bedarf lässt sich besonders einfach durch funk­ba­sierte Sensoren abdecken. Oder andersrum: Nur mit einem (hohen) Anteil an funk­ba­sierten Sensoren lässt sich ein echtes Smart Building umsetzen. Dies gilt glei­cher­maßen für die Anlagen- und die Raumautomation.

Hierzu bereits die erste Bemerkung: Es gibt viele Fach­be­triebe, die sich auf den Umgang mit einem einzigen oder ganz wenigen dieser Proto­kolle beschränken. Bereits heute ist es aber wichtig, sich mit möglichst vielen Proto­kollen zu befassen. Dabei muss man nicht ausge­wie­sener Experte werden, aber wer in der Zukunft im Bereich Gebäu­de­au­to­mation bestehen möchte, sollte keine Angst davor haben, jedes der genannten Proto­kolle zumindest grund­sätzlich einzu­binden. Ein versierter Umgang mit dieser Proto­koll­vielfalt ist elementar wichtig.

In der soge­nannten Management-​Ebene befindet sich die Gebäude-​Leittechnik (GLT) – dies wiederum sind Soft­ware­pro­dukte, die den Status der Controller über­wachen bzw. visua­li­sieren. Wichtig im klas­si­schen Verständnis war, dass die Controller eigen­ständig funk­ti­ons­fähig sind – d.h. nicht auf die Betriebs­be­reit­schaft der GLT ange­wiesen sind. Dies ändert sich zunehmend, da viele „Mehr­wert­dienste“ in der Management-​Ebene ausge­führt werden. Deshalb wandelt sich in der Abbildung der Begriff GLT zu BMS (Building Management System). BMS-​Systeme sind deutlich viel­sei­tiger, stellen Visua­li­sie­rungen auch für den normalen Nutzer zur Verfügung und unter­stützen umfang­reiche Nutzer- und Grup­pen­ver­wal­tungen. Sie können selber Daten auswerten, Entschei­dungen treffen und Controller zur Ausführung von Aktionen anweisen. Auch unter­stützen BMS-​Systeme eine Vielzahl an IT-​Protokollen, um Anbin­dungen zu Daten­banken, Waren­wirt­schafts­systeme, Raum­bu­chungs­systeme etc. zu ermög­lichen. Der Nutzen der entspre­chenden Dienste gliedert sich in unter­schied­liche Aspekte. Zum einen lassen sich Gebäude ener­gie­ef­fi­zi­enter betreiben und eine Inves­tition amor­ti­siert sich meist innerhalb von wenigen Jahren. Über Strom­ver­brauchs­werte kann auf die „Gesundheit“ von Kompo­nenten geschlossen und somit eine prädiktive Wartung zur Ausfall­re­duktion durch­ge­führt werden. Zum anderen stellen die vielen Anwen­dungs­fälle einen Mehrwert in Bezug auf die Attrak­ti­vität des Arbeits­platzes dar und sind somit ein wichtiger Aspekt bei der Mitar­bei­ter­ge­winnung bzw. –bindung. Aber auch beim exis­tenten Perso­nal­be­stand können diese Anwen­dungs­fälle zu einer höheren Mitar­bei­ter­pro­duk­ti­vität führen – ein Aspekt der monetär schwer zu bewerten ist, aber Quer­bezüge sind nach­weisbar und haben schnell eine höhere finan­zielle Auswirkung als die des ener­ge­ti­schen Einsparpotenzials.

Top 12“ der Mehrwertdienste

Wenn nun die Auto­mation der einzelne Gewerke ganz­heitlich vernetzt und an ein BMS ange­bunden ist: Welche sinn­vollen Mehr­wert­dienste lassen sich damit umsetzen? Im Detail muss das aufgrund von indi­vi­du­ellen Präfe­renzen im Einzelfall geklärt werden, aber die erwähnte Studie hat zumindest eine Übersicht an besonders inter­es­santen Mehr­wert­diensten ergeben. Ausgehend von den 85 Thesen sind das insbe­sondere die, die sowohl einen hohen Mehrwert darstellen, als auch bereits heute umsetzbar sind (d.h. mit geringer Komple­xität verbunden sind).

Konse­quenzen für Fach­be­triebe und den Raumautomations-Planungsprozess

Auch wenn nicht in jedem Gebäude solche Mehr­wert­dienste gefordert sind – wer im Umfeld von Raum­au­to­mation tätig ist, sollte bei entspre­chenden Anfragen kompetent reagieren können. Denn solche Anfragen werden über kurz oder lang eingehen. Somit sollte man sich früh­zeitig am Markt nach Systemen umsehen, wie sie zur Umsetzung solcher Mehr­wert­dienste erfor­derlich sind.

Somit ist zu beachten, dass es sich dabei übli­cher­weise um IT-​basierte Systeme handelt. D.h. die Kompo­nenten eines Bus-​Systems oder kleinere (Raumautomations-)Controller sind nicht ausrei­chend, sondern müssen über Ethernet-​basierte Proto­kolle wie BACnet IP, OPC UA, MQTT, RESTful webser­vices oder „notfalls“ Modbus TCP oder KNX IP an entspre­chende Server ange­bunden werden. Allein zu dieser Inte­gration sollte ein Know-​How im Umgang mit solchen Proto­kollen aufgebaut werden – sei es im Allge­meinen zur Softwarearchitektur-​Planung als auch im Spezi­ellen in Bezug auf eine spätere Umsetzung. Alter­nativ sollte man Kontakt zu entspre­chend versierten System­in­te­gra­toren aufbauen, mit denen man entspre­chende Anfragen bzw. Projekte bei Bedarf gemeinsam durch­führen kann.

Letztlich ist es auch von Vorteil, sich mit den konkreten BMS-​Systemen zur Umsetzung solcher Mehr­wert­dienste zu befassen. BMS-​Systeme können über Soft­ware­pro­dukte wie z.B. die Niagara-​Software der Fa. Tridium oder B‑Con der Fa. Iconag im eigenen Rechen­zentrum aufgebaut werden. Parallel formieren sich auch hier bereits cloud-​basierte Platt­form­an­bieter wie z.B. Microsoft mit der Plattform „Azure“ oder AWS von Amazon. Auch die Deutsche Telekom bietet mit „AppAgile“ einen soge­nannten Dienst „PaaS – Plattform as a Service“. Dass dieser Trend ernst zu nehmen ist, zeigen die Entwick­lungen von großen namhaften Unter­nehmen der Gebäu­de­au­to­mation. Beispielhaft sei die „WAGO-​Cloud“ als auch das „Sauter Vision Center“ genannt. In Summe formieren sich derzeit diese BMS-​Systeme und es ist noch viel Wandel zu erwarten. Aber man sollte den Trend im Auge behalten und ebenso hier entweder eigene Kompetenz aufbauen oder den Kontakt zu entspre­chenden System­in­te­gra­toren oder IT-​Firmen aufbauen.

Fazit

Klas­sische Raum­au­to­mation war gestern – derzeit halten zusätzlich „Mehr­wert­dienste“ Einzug in moderne Büro­ge­bäude. Zur Auswahl ist der konkrete Nutzen zu bewerten und die Umset­zungs­kom­ple­xität zu beachten. Dabei ist zur Planung und Ausführung zu berück­sich­tigen, dass diese nur in Verbindung mit IT-​basierten BMS-​Systemen möglich ist, was eine entspre­chende proto­koll­ba­sierte Anbindung der Raum­au­to­mation an diese Systeme erfordert.

Die Trend­studie umfasst über 100 Seiten und bietet somit viele weitere Infor­mation im Vergleich zu den hier beschrie­benen Top12-​Mehrwertdiensten. Bei Interesse zu dieser Trend­studie (IGT-​Studie Nr. 2: „Trends von Raum­au­to­mation und Building Management Systemen in modernen Büro­ge­bäuden“, Institut für Gebäu­de­tech­no­logie, 2020) kann hier bestellt werden.

Frank Urbansky

Freier Jour­na­list und Fach­au­tor, unter anderem für die Fach­ma­ga­zine und Portale Brenn­stoff­spie­gel, Uniti; DW Die Woh­nungs­wirt­schaft und Immo­bi­li­en­wirt­schaft; Haufe-Lexware; Energie&Management; IVV, Huss Medien; Motor­tech­ni­sche Zeit­schrift und Sprin­ger­Pro­fes­sio­nal; Sprin­ger Fachverlag; SHK Profi und tab, Bau­ver­lag; stadt+werk, k21

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