Bernd Felgentreff ist ein Leipziger Urgestein in Sachen Energiewende. Der Clusterteamleiter im Netzwerk für Energie und Umwelt (NEU e.V.) moderiert er das Clusterteam „Neue Energiesysteme“. Zur aktuellen Diskussion um die Wirtschaftlichkeit und die Kosten der Energiewende hat er 8 interessante Thesen aufgestellt, die wir hier dokumentieren.
Arbeitsplatzumbau statt Arbeitsplatzabbau
Die 40% Erneuerbarer Strom im Deutschen Strommix binden mehr Arbeitsplätze, als die 60% konventionelle Stromerzeugung. Wenn also Konventionelle abgebaut und Erneuerbare aufgebaut werden, entstehen sehr wahrscheinlich viel mehr Arbeitsplätze in der Branche als bisher.
Strukturschwache Regionen
Ein Ort mit 500 Einwohnern verbraucht im Jahr 270.000 Euro für Strom und 540.000 Euro für Heizung. 810.000 Euro die ohne Wertschöpfung aus dem Ort fließen, die wenn die örtlichen Energieträger (Biomasse, Sonne, Erdwärme, Seewasser u.s.w.) genutzt würden, mindestens Teilweise im Dorf blieben.
Abgehangene Gebiete
Wie ich als „Ureinwohner“ von Sachsen mit großem Erstaunen zur Kenntnis nehmen muss, fühlen sich viele Menschen hier abgehangen. Vergleichbar finde ich das mit der Maschinenstürmerei zu Beginn der industriellen Revolution, wo auch viele Menschen vor der Zukunft große Angst hatten, weil sie ihren Arbeitsplatz in Gefahr sahen. Mit der Einbeziehung der energetischen Potentiale eines jeglichen Ortes entsteht nicht nur Wertschöpfung, sondern auch Nachhaltigkeit, Zukunftssicherheit, Attraktivität und nebenher auch noch ein Arbeitsplatz.
Mitmachnetze
Eine besondere Art der Wärmeversorgung ist noch wenig bekannt: Kalte, intelligente Wärmenetze – oder Mitmachnetze genannt. Der Technologie liegt die Idee zu Grunde, dass jeder der Wärme übrig hat (der Supermarkt seine, oder die bäuerliche Milchkühlung ihre Abwärme, der Tischler seine Holzabschnitte, …) es dem System zur Verfügung stellt und jeder der Wärme benötigt, sie zur Verfügung gestellt bekommt. Beeindruckende Referenzen zeigen die hohe Nützlichkeit der Anlagentechnik. Ganz besonders interessant sind diese Anwendungen, wenn sie als Genossenschaft betrieben werden. Der gemeinsame Einkauf der nicht selbst erzeugten Energie wir so deutlich günstiger. Die Gemeinschaft kann sich gegenseitig nützen. Der Mehrwert bleibt wo er hingehört und lässt vielleicht auch wieder den Gastwirt oder die Backfiliale im Ort entstehen. Hier lohnt sich Friedrich Wilhelm Raifeisen zu zitieren: „Das Geld des Dorfes gehört ins Dorf!“
Grundstücksbewertung
Erneuerbare Energieträger sind in der Grundstücksbewertung nicht enthalten, was dazu führt, dass ein Kreditgeber die möglichen Erträge aus einer Solaranlage nicht als Sicherheit für den Kredit herzieht (heranziehen darf). Der typische Einfamilienhausbesitzer, kann damit nur die oft schon belastete „Lohntüte“ als Sicherheit bieten, was in vielen tausend Fällen zur Ablehnung des Kredites und damit zur Vermeidung der Investition in Beispielsweise eine Solaranlage führt. Die Grundstücksbewertung mit der Energiebilanz könnte das ändern. Heute wird ein Gasanschluss tatsächlich als „Aufwertung“ heran gezogen – die Sonne nicht.
Aktuelle Statistik
In allen mir bekannten Volkswirtschaften sind nur die Vertriebswege gebundenen Energieträger statistisch erfasst. Die Wäsche die Sie auf der Wäscheleine trocknen, kann nach der Statistik nicht trocken werden – im Wäschetrockner sehr wohl. Die Sonne die Sie durch das Bürofenster nutzen, kann nach der Statistik den Raum nicht erhellen – das Leuchtmittel kann das. In der gesamten Land- und Forstwirtschaft, in der Fischzucht und dem Gartenbau werden nur die einzukaufenden Energieträger betrachtet, obwohl der Apfel noch nie mit Atomkraft reifte (wenn man in der Sonne nicht den Fusionsreaktor sieht). Alleine die Einbeziehung in die Statistik der in der Volkswirtschaft genutzten natürlichen Energieträger würde aufzeigen, dass wir nur einen geringen Anteil kohlenstoffbasierter Energieträger nutzen – die aber 100% für den Schaden verantwortlich sind. Auch hier sehe ich in der medialen Diskussion eine Versachlichung unserer Aufgabe zur Transformation unseres Energieversorgungssystems.
Bonussystem contra Malussystem
Unsere Weltwirtschaft basiert auf einem Bonussystem was den Mehrverbrauch pro Einheit belohnt. Je mehr ich von einer Sache erwerbe, desto günstiger bekomme ich es pro Einheit. Dahinter steht die Idee, dass von allem unbegrenzt zur Verfügung steht („nimm 2“). Wir können leider nicht davon augehen, dass sich dieses System einfach verändern läßt. Ein Stadtwerk müsste dann den geringeren Verbrauch eines Sparsamen nicht nur mit weniger Einheiten, sondern auch mit weniger Preis pro Einheit begleiten. Dein dickes Brett, worauf ich keine Antwort habe – es aber meiner Ansicht nach dringend in die Diskussion gehört.
Diskussion um die CO2-Bepreisung
Jede kWh Strom oder Gas wird nicht „verbraucht“, wie es allgemeingültig heißt, sonder kann nur „benutzt“ oder „entwertet“ werden, weil nach dem Energieerhaltungssatz Energie nun mal nur ineinander umgewandelt werden kann. Jede kWh Strom oder Gas ist nach ihrer Nutzung niedertemperaturige Wärme – jede! Da Industriebetriebe mit ihren optimierten Prozessen diese niedertemperaturige Wärme sehr oft nicht nutzen, wird ca. 90 % dieses Potential über Rückküher, Lüftungssysteme oder schlechte Dämmung in die Athmosphäre entlassen. Mein „Lieblingsbeispiel“ liegt in einem Ort nördlich von Leipzig: Dort werden pro Tag 43 MWh über den Rückkühler entsorgt, was im Nutzungsfall den gesammten Ort spielend über den Winter bringen würde. Mein Lösungsansatz: Da den Industriebetrieben das vernichten dieser Abwärme (in Form von Strom und Wasser für die Rückkühler) Geld kostet, könnte die Firma dem Bürgermeister die Abwärme schenken und das Geld für die Rückkühlung sparen. Interessant ist, dass unsere Gesellschaft dem Großverbraucher den Strom und das Gas über Subventionen vergünstigt – und eigentlich damit die Abwärme schon erworben hat.
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