Bei der Beurteilung, wie die Altlasten der Atomkraftwerke durch die Konzerne in Zukunft zu stemmen ist, herrschte bei einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestages gestern alles andere als Einigkeit. Das geplante „Gesetz zur Nachhaftung für Rückbau und Entsorgungskosten im Kernenergiebereich“ bezeichnete ein Teil der geladenen Experten gar als verfassungswidrig, während anderen die angestrebte Lösung noch nicht weit genug ging.
Der Sachverständige Gert Brandner (Haver & Mailänder Rechtsanwälte) bezeichnete die Nachhaftung der Energiekonzerne durch eine „Konservierung der Haftungssituation” als legitim. Zugleich erklärte er, dass der Gesetzentwurf deutlich über den Gesetzeszweck hinausgehe. „Das Rückbau- und Entsorgungskostennachhaftungsgesetz führt bei wörtlicher Anwendung dazu, dass nicht nur die Energieversorgungskonzerne, deren ‚fortdauernde Haftung’ das Gesetz sicherstellen will, neben dem Betreiber für die Kosten für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung aufzukommen haben, sondern auch deren beherrschende Gesellschafter, obwohl diese als Aktionäre nach bisheriger Gesetzeslage für Verbindlichkeiten der AG nicht haften”, so Brandner. Das Gesetz gehe von der falschen Prämisse aus, dass herrschende Unternehmen auch jetzt schon haften würden. Das treffe aber nicht zu.
Für Herbert Posser (Freshfields Bruckhaus Deringer) weiche der Entwurf stark von aktienrechtlichen Regelungen ab und führe eine unbegrenzte Gewährleistung ein. Die Haftung der Muttergesellschaften sei auch „zeitlich faktisch unbegrenzt”. Posser bezeichnete den Gesetzentwurf als ungerechtfertigten Eingriff in die Eigentumsfreiheit. Er sei daher unvereinbar mit den Vorgaben des Grundgesetzes.
Für Rechtsanwalt Marc Ruttloff (Gleiss Lutz) bricht der Gesetzentwurf mit allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen. Die Haftung des herrschenden Unternehmens werde weit über seine Gesellschaftereinlage hinaus erstreckt. Das Nachhaftungskonzept des Gesetzentwurfs genüge im Ergebnis nicht den Anforderungen an eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung.
Andere Experten sehen das anders. Für Olaf Däuper (Becker Büttner Held) sei dieNachhaftung „strikt subsidiär ausgestaltet, so dass eine Inanspruchnahme der beherrschenden Unternehmen nicht zu befürchten ist, wenn die Betreibergesellschaften ihre Rückstellungen in angemessener Höhe gebildet haben”. Schließlich sei die Nachhaftung auch zeitlich befristet. Es gebe auch nicht die von anderen Sachverständigen so bezeichnete „Ewigkeitshaftung”. Das Ende der Haftung sei klar definiert.
Wolfgang Irrek (Hochschule Ruhr West) sieht in dem Gesetzentwurf eine Stärkung des Verursacherprinzips. Aus ökonomischer Sicht sei der Entwurf zu befürworten. Allerdings könne der Entwurf nur der erste Baustein auf dem Weg einer substanziellen Erhöhung der Finanzierungssicherheit sein. Die Vermögenswerte der Konzerne sollten in einen Fonds in Form einer öffentlich-rechtlichen Stiftung übertragen und gesichert werden.
Auch für Rechtsanwältin Cornelia Ziehm geht der Gesetzentwurf nicht weit genug. Seit Jahrzehnten werde keine Finanzierungsvorsorge für Rückbau und Entsorgung getroffen. Die handelsrechtlichen Rückstellungen seien nicht insolvenzfest. Zwar werde die Begrenzung der Nachhaftung abgeschafft, aber der Entwurf greife nicht bei Insolvenz der Mutterkonzerne. Daher bedürfe es weiterer gesetzlicher Maßnahmen zur Erfüllung der staatlichen Verpflichtungen und zur Umsetzung des Verursacherprinzips im Atomrecht.
Georg Hermes (Goethe-Universität Frankfurt) wies ebenfalls die Behauptungen der Verfassungswidrigkeit zurück. Es gebe keinen verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz, sich der Haftung zu entziehen. Es handele sich bei dem Gesetzentwurf um einen zulässigen Eingriff in die Berufsfreiheit zur Herstellung des Verursacherprinzips.
Bei der Anhörung wurde ein entscheidendes Detail nicht geklärt: Die Konzerne sind allein aus finanziellen Gründen nicht in der Lage, die Rückstellungen allein zu bewerkstelligen, wie an dieser Stelle schon berichtet wurde.
Vorschaubild: Soll 2021 stillgelegt und zurückgebaut werden. Kernkraftwerk Brockdorf an der Elbe. Foto: Urbansky
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