Bernd Felgentreff. Foto: privat

Thesen zur Wirt­schaft­lichkeit der Energiewende

von | 2. Oktober 2019

Bernd Felgen­treff ist ein Leipziger Urgestein in Sachen Ener­gie­wende. Der Clus­ter­team­leiter im Netzwerk für Energie und Umwelt (NEU e.V.) moderiert er das Clus­terteam „Neue Ener­gie­systeme“. Zur aktuellen Diskussion um die Wirt­schaft­lichkeit und die Kosten der Ener­gie­wende hat er 8 inter­es­sante Thesen aufge­stellt, die wir hier dokumentieren.

Arbeits­platz­umbau statt Arbeitsplatzabbau

Die 40% Erneu­er­barer Strom im Deutschen Strommix binden mehr Arbeits­plätze, als die 60% konven­tio­nelle Strom­erzeugung. Wenn also Konven­tio­nelle abgebaut und Erneu­erbare aufgebaut werden, entstehen sehr wahr­scheinlich viel mehr Arbeits­plätze in der Branche als bisher.

Struk­tur­schwache Regionen

Ein Ort mit 500 Einwohnern verbraucht im Jahr 270.000 Euro für Strom und 540.000 Euro für Heizung. 810.000 Euro die ohne Wert­schöpfung aus dem Ort fließen, die wenn die örtlichen Ener­gie­träger (Biomasse, Sonne, Erdwärme, Seewasser u.s.w.) genutzt würden, mindestens Teilweise im Dorf blieben.

Abge­hangene Gebiete

Wie ich als „Urein­wohner“ von Sachsen mit großem Erstaunen zur Kenntnis nehmen muss, fühlen sich viele Menschen hier abge­hangen. Vergleichbar finde ich das mit der Maschi­nen­stür­merei zu Beginn der indus­tri­ellen Revo­lution, wo auch viele Menschen vor der Zukunft große Angst hatten, weil sie ihren Arbeits­platz in Gefahr sahen. Mit der Einbe­ziehung der ener­ge­ti­schen Poten­tiale eines jeglichen Ortes entsteht nicht nur Wert­schöpfung, sondern auch Nach­hal­tigkeit, Zukunfts­si­cherheit, Attrak­ti­vität und nebenher auch noch ein Arbeitsplatz.

Mitmach­netze

Eine besondere Art der Wärme­ver­sorgung ist noch wenig bekannt: Kalte, intel­li­gente Wärme­netze – oder Mitmach­netze genannt. Der Tech­no­logie liegt die Idee zu Grunde, dass jeder der Wärme übrig hat (der Super­markt seine, oder die bäuer­liche Milch­kühlung ihre Abwärme, der Tischler seine Holz­ab­schnitte, …) es dem System zur Verfügung stellt und jeder der Wärme benötigt, sie zur Verfügung gestellt bekommt. Beein­dru­ckende Refe­renzen zeigen die hohe Nütz­lichkeit der Anlagen­technik. Ganz besonders inter­essant sind diese Anwen­dungen, wenn sie als Genos­sen­schaft betrieben werden. Der gemeinsame Einkauf der nicht selbst erzeugten Energie wir so deutlich günstiger. Die Gemein­schaft kann sich gegen­seitig nützen. Der Mehrwert bleibt wo er hingehört und lässt viel­leicht auch wieder den Gastwirt oder die Back­fi­liale im Ort entstehen. Hier lohnt sich Friedrich Wilhelm Raifeisen zu zitieren: „Das Geld des Dorfes gehört ins Dorf!“

Grund­stücks­be­wertung

Erneu­erbare Ener­gie­träger sind in der Grund­stücks­be­wertung nicht enthalten, was dazu führt, dass ein Kredit­geber die möglichen Erträge aus einer Solar­anlage nicht als Sicherheit für den Kredit herzieht (heran­ziehen darf). Der typische Einfa­mi­li­en­haus­be­sitzer, kann damit nur die oft schon belastete „Lohntüte“ als Sicherheit bieten, was in vielen tausend Fällen zur Ablehnung des Kredites und damit zur Vermeidung der Inves­tition in Beispiels­weise eine Solar­anlage führt. Die Grund­stücks­be­wertung mit der Ener­gie­bilanz könnte das ändern. Heute wird ein Gasan­schluss tatsächlich als „Aufwertung“ heran gezogen – die Sonne nicht.

Aktuelle Statistik

In allen mir bekannten Volks­wirt­schaften sind nur die Vertriebswege gebun­denen Ener­gie­träger statis­tisch erfasst. Die Wäsche die Sie auf der Wäsche­leine trocknen, kann nach der Statistik nicht trocken werden – im Wäsche­trockner sehr wohl. Die Sonne die Sie durch das Büro­fenster nutzen, kann nach der Statistik den Raum nicht erhellen – das Leucht­mittel kann das. In der gesamten Land- und Forst­wirt­schaft, in der Fisch­zucht und dem Gartenbau werden nur die einzu­kau­fenden Ener­gie­träger betrachtet, obwohl der Apfel noch nie mit Atomkraft reifte (wenn man in der Sonne nicht den Fusi­ons­re­aktor sieht). Alleine die Einbe­ziehung in die Statistik der in der Volks­wirt­schaft genutzten natür­lichen Ener­gie­träger würde aufzeigen, dass wir nur einen geringen Anteil kohlen­stoff­ba­sierter Ener­gie­träger nutzen – die aber 100% für den Schaden verant­wortlich sind. Auch hier sehe ich in der medialen Diskussion eine Versach­li­chung unserer Aufgabe zur Trans­for­mation unseres Energieversorgungssystems.

Bonus­system contra Malussystem

Unsere Welt­wirt­schaft basiert auf einem Bonus­system was den Mehr­ver­brauch pro Einheit belohnt. Je mehr ich von einer Sache erwerbe, desto günstiger bekomme ich es pro Einheit. Dahinter steht die Idee, dass von allem unbe­grenzt zur Verfügung steht („nimm 2“). Wir können leider nicht davon augehen, dass sich dieses System einfach verändern läßt. Ein Stadtwerk müsste dann den gerin­geren Verbrauch eines Sparsamen nicht nur mit weniger Einheiten, sondern auch mit weniger Preis pro Einheit begleiten. Dein dickes Brett, worauf ich keine Antwort habe – es aber meiner Ansicht nach dringend in die Diskussion gehört.

Diskussion um die CO2-Bepreisung

Jede kWh Strom oder Gas wird nicht „verbraucht“, wie es allge­mein­gültig heißt, sonder kann nur „benutzt“ oder „entwertet“ werden, weil nach dem Ener­gie­er­hal­tungssatz Energie nun mal nur inein­ander umge­wandelt werden kann. Jede kWh Strom oder Gas ist nach ihrer Nutzung nieder­tem­pe­ra­turige Wärme – jede! Da Indus­trie­be­triebe mit ihren opti­mierten Prozessen diese nieder­tem­pe­ra­turige Wärme sehr oft nicht nutzen, wird ca. 90 % dieses Potential über Rückküher, Lüftungs­systeme oder schlechte Dämmung in die Athmo­sphäre entlassen. Mein „Lieb­lings­bei­spiel“ liegt in einem Ort nördlich von Leipzig: Dort werden pro Tag 43 MWh über den Rück­kühler entsorgt, was im Nutzungsfall den gesammten Ort spielend über den Winter bringen würde. Mein Lösungs­ansatz: Da den Indus­trie­be­trieben das vernichten dieser Abwärme (in Form von Strom und Wasser für die Rück­kühler) Geld kostet, könnte die Firma dem Bürger­meister die Abwärme schenken und das Geld für die Rück­kühlung sparen. Inter­essant ist, dass unsere Gesell­schaft dem Groß­ver­braucher den Strom und das Gas über Subven­tionen vergünstigt – und eigentlich damit die Abwärme schon erworben hat.

Mehr zu Bernd Felgen­treff findet sich hier.

Frank Urbansky

Freier Jour­na­list und Fach­au­tor, unter anderem für die Fach­ma­ga­zine und Portale Brenn­stoff­spie­gel, Uniti; DW Die Woh­nungs­wirt­schaft und Immo­bi­li­en­wirt­schaft; Haufe-Lexware; Energie&Management; IVV, Huss Medien; Motor­tech­ni­sche Zeit­schrift und Sprin­ger­Pro­fes­sio­nal; Sprin­ger Fachverlag; SHK Profi und tab, Bau­ver­lag; stadt+werk, k21

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