Für Lüftungsanlagen gibt es viele Varianten. Foto: Urbansky

Ulmer Büro-​Passivhaus mit 4‑Stufen-​Heizung

von | 12. Oktober 2016

Das Energon im Science Park II ist ein Büro­ge­bäude im Passiv­h­aus­standard auf dem Eselsberg in Ulm. In unmit­tel­barer Nähe befindet das Ulmer Expo-​Gelände mit der Passivhaus-​Wohnsiedlung „Im Sonnenfeld“. 

Die Netto­grund­fläche von 6900 m² bietet Platz für rund 420 Arbeits­plätze. Als Standort für das Gebäude wurde ein schat­ten­loser Südhang gewählt, um die Sonnen­ein­strahlung optimal zu nutzen.

Die fünf Etagen wurden mit einer Stahlbeton-​Skelett-​Konstruktion und einer Fassade aus Holz­ele­menten errichtet und im Oktober 2002 fertig gestellt. Das Gebäude wurde als Passivhaus mit einem Heiz­wär­me­bedarf von weniger als 15 kWh/​m2 jährlich geplant. Erreicht werden aktuell sogar 12 kWh/​m2.

Die Wärme­ver­sorgung des Gebäudes basiert primär auf einem 185 kW-​Fernwärmeanschluss an ein Netz mit Kraft-​Wärme-​Kopplung. Die Fernwärme bedient die Heiz­kreise von Beton­kern­ak­ti­vierung, zentraler Zuluft­nach­er­hitzung und Warm­was­ser­be­reitung für die Küche. In allen übrigen Geschossen wird Warm­wasser wegen der geringen Abnahme über Elek­tro­durch­lauf­er­hitzer erzeugt.

Abwärme in Betonkernaktivierung

Die Abwärme der Kälte­ag­gregate von zentralen EDV-​Räumen und der Küche wird mit Vorrang in die Beton­kern­ak­ti­vierung einge­speist, bei fehlendem Bedarf über Rück­kühl­werke an die Umgebung abgegeben.

Das Feld aus 40 Erdwär­me­sonden mit je 100 m Bohrtiefe dient primär der sommer­lichen Wärme­abfuhr mit bis zu 120 kW Kälte­leistung über ein Rohr­system in den Geschoss­decken (Beton­kern­ak­ti­vierung, BKT). Die Erdwär­me­sonden werden direkt mit dem Wasser der BKT durch­strömt. In Summe wurden 350 Rohr­re­gister aus Kunst­stoff auf 5.000 m² Decken­fläche verlegt. Die Register liegen in 10 cm Abstand von der Decken­un­ter­seite bei 28 cm Deckenstärke.

Erdwärme zuerst

Das Gebäude wird mecha­nisch be- und entlüftet, wobei alle Aufent­halts­räume auch über die Möglichkeit zur Fens­ter­lüftung verfügen. Die Luft­an­saugung erfolgt durch ein 28 m langes Betonrohr im Erdreich mit 1,8 m Durch­messer. Die winter­liche Luft­er­wärmung geschieht zentral in vier Stufen:

  1. Erdkanal
  2. Erdwär­me­sonden
  3. Wärme­rück­ge­winnung
  4. Fernwärme

Zur Wärme­rück­ge­winnung kommt wegen der baulichen Vorteile (räumliche Trennung von Zu- und Abluft, dadurch redu­zierte Geschoss­höhen) ein Kreis­lauf­ver­bund­system mit einem Wärme­be­reit­stel­lungsgrad von 65% zum Einsatz. Zusammen mit dem Erdkanal und den Erdwär­me­sonden beträgt der Wärme­be­reit­stel­lungsgrad etwa 80%.

Der über­wie­gende Teil der Zuluft wird in das zentrale Atrium einge­bracht. Durch Luft­ab­saugung in den Büros und den Neben­räumen strömt Luft vom Atrium nach. Für die Außen­büros geschieht dies durch Rohre in den Geschoss­decken, in den Büros zum Atrium über Lüftungs­schlitze in den Fassaden.

Abwärme aus Kältemaschinen

Die BKT deckt den gesamten Wärme­bedarf. Sie nutzt die Abwärme der Kälte­ma­schinen und bei erhöhtem Bedarf die Fernwärme. Eine Einzel­raum­tem­pe­ra­tur­re­gelung ist aufgrund der hohen ther­mi­schen Qualität der Gebäu­de­hülle und des Selbst­re­gu­lie­rungs­ef­fekts der BKT nicht vorgesehen.

Auf dem Flachdach (Neigung: 3 Grad, Orien­tierung: Süd und Nordwest) des Gebäudes befindet sich ein 15 kWp-​Solarstromanlage. Beson­derheit sind die amorphen Zellen, die auf 328 m² Fläche unmit­telbar in eine Foli­en­dachbahn einla­mi­niert sind. Das Primär­ener­gie­äqui­valent der solaren Strom­erzeugung entspricht in der Jahres­summe plane­risch etwa 6 % des Primär­ener­gie­bezugs des Gebäudes für Heizung, Lüftung, Kühlung und Beleuchtung. Schließt man die 135 kWp-​Anlage des Bauherrn auf der nahe­ste­henden Hoch­garage in die Betrachtung ein, werden annähernd 70% des Bedarfs ausgeglichen.


Fun­dierte Beiträge zum Thema Ener­gie­ef­fi­zienz, zu dem ja auch das Passivhaus zählt, bietet Energieblogger-​Kollege Andreas Kühl hier auf seinem Blog Energynet.

Frank Urbansky

Freier Jour­na­list und Fach­au­tor, unter anderem für die Fach­ma­ga­zine und Portale Brenn­stoff­spie­gel, Uniti; DW Die Woh­nungs­wirt­schaft und Immo­bi­li­en­wirt­schaft; Haufe-Lexware; Energie&Management; IVV, Huss Medien; Motor­tech­ni­sche Zeit­schrift und Sprin­ger­Pro­fes­sio­nal; Sprin­ger Fachverlag; SHK Profi und tab, Bau­ver­lag; stadt+werk, k21

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