Die Aluminiumindustie ist eine der wenigen, die bisher die Möglichkeiten der abschaltbaren Lasten nutzte. Foto: LoKiLeCh / Wikimedia / Lizenz unter CC BY-SA 3.0

Tollhaus Ener­gie­wende: Abschaltbare Lasten bleiben

von | 1. Dezember 2015

In Paris lässt es sich trefflich über die Rettung der Welt streiten. Deutschland ist da ganz weit vorn, sieht es sich doch als Muster­knabe in Sachen Ener­gie­wende. Die stottert jedoch gewaltig. Im Wärme­markt werden die Erneuerbaren-​Ziele von 14 % bis 2020 nimmer erreicht. Statt dessen feiert die gute alte Ölheizung ihr Comeback. Und im Verkehrs­sektor tut sich wenig bis gar nichts. Nur der Strom­markt glänzt mit jährlich wach­senden Wind- und Solarparks. 

Doch auch hier quietscht und knarrt es gewaltig. Aktuell geht es um einen Baustein für den Strom­markt der Zukunft, die soge­nannten abschaltbare Lasten. (AbLaV). 2013 wurden diese instal­liert und bezeichnen Verbrauchs­ein­rich­tungen vorrangig in der Industrie, die am Netz der allge­meinen Versorgung oder an einem geschlos­senen Vertei­lernetz mit einer Spannung von mindestens 110 Kilovolt (Hoch­spannung) ange­schlossen sind. Sie nehmen mit großer Leistung nahezu rund um die Uhr Strom ab. Sie sind jedoch in der Lage, ihre Verbrauchs­leistung auf Anfor­derung der Über­tra­gungs­netz­be­treiber redu­zieren zu können. Dafür sind ein fester monat­licher Leis­tungs­preis von 2.500 Euro pro Megawatt und ein variabler Arbeits­preis zwischen 100 und 400 Euro pro Mega­watt­stunde vorgesehen. 

Von Industrie nicht genutzt

Die Bundes­re­gierung stellte Anfang Oktober fest, dass bisher 6 Rahmen­ver­träge mit 4 Unter­nehmen aus der chemi­schen und der Aluminium-​Industrie abge­schlossen. Die Gesamt­ab­schalt­leistung betrage 465 MW im Bereich sofort abschalt­barer Lasten und 979 MW im Bereich schnell abschalt­barer Lasten. Die mögliche Kontra­hie­rungs­menge würde damit seitens der indus­tri­ellen Anbieter bei weitem nicht ausge­schöpft. Für die Industrie wären Vergü­tungen von 320 Millionen Euro möglich gewesen. 2013 wurden davon 9,7.Millionen Euro genutzt, 2014 knapp 19 Millionen Euro und die ersten drei Monate 2015 8,3 Millionen Euro.

Die Bundes­netz­agentur empfahl, die Verordnung auslaufen zu lassen, da im Berichts­zeitraum kein Bedarf an abschalt­baren Lasten bestand. Weiter schrieb die Agentur: „Die derzeitige Verordnung über Verein­ba­rungen zu abschalt­baren Lasten ist darüber hinaus nicht ausrei­chend geeignet, zusätz­liche Poten­tiale an abschalt­baren Lasten für den Strom- und Regel­en­er­gie­markt zu erschließen. Um die weitere Liqui­dität des Regel­leis­tungs­markts sicher­zu­stellen und eine „Kanni­ba­li­sierung“ des Regel­en­er­gie­marktes durch die AbLaV zu verhindern, sollten abschaltbare Lasten daher ihre Abschalt­leistung regulär am Regel­en­er­gie­markt anbieten.“

Sinnloses weiter­führen

Doch welch Wunder: Der Bundestag sinniert nun darüber nach, dieses offen­sichtlich sinnlose Instrument weiter­zu­führen. Das ruft verständ­liche Kritik auf den Plan. „Die Verordnung zu abschalt­baren Lasten sollte hierfür einen Anreiz geben. Sie konnte ihren Nutzen in der Praxis nicht nur nicht nach­weisen, sondern sie erweist sich inzwi­schen als geradezu ener­gie­wen­de­schädlich“, sagt Robert Busch, Geschäfts­führer des Bundes­ver­bandes Neue Ener­gie­wirt­schaft (bne). Er verweist dabei auf einen aktuellen Bericht der Bundes­netz­agentur, der die Wirkung der AbLaV unter­sucht hat. Laut Behörde hat das Instrument sein Ziel nicht erfüllt und gleich­zeitig bestehende Möglich­keiten zur Inte­gration abschalt­barer Lasten, wie den Regel­en­er­gie­markt, negativ beeinträchtigt. 

Letzt­endlich profi­tieren nur sehr wenige Unter­nehmen von der Regelung für abschaltbare Lasten. Die Kosten im drei­stel­ligen Millio­nen­be­reich müssen jedoch alle Strom­ver­braucher tragen. Das trifft den Handel als Branche mit dem dritt­größten Strom­ver­brauch in Deutschland ganz besonders“, so Kai Falk, Geschäfts­führer des Handels­ver­bandes Deutschland (HDE). Aus Sicht von HDE und bne böten die im Weißbuch des Bundes­wirt­schafts­mi­nis­te­riums vorge­schla­genen Maßnahmen genügend Flexi­bi­li­täts­an­reize für indus­trielle Anbieter. „Eine Verlän­gerung der Verordnung ist daher auch aus diesem Grund nicht notwendig“, so Falk weiter. 

Mehr Netz­entgelt?

Völlig unklar ist zudem, ob die Verlän­gerung der AbLaV sich bereits in den Netz­ent­gelten für das kommende Jahr auswirkt. Die Netz­be­treiber haben diese bereits Mitte Oktober bekannt gegeben, die Ener­gie­ver­triebe auf dieser Grundlage ihre Tarife kalku­liert und ihren Kunden mitge­teilt. „Wenn nun wieder alles anders kommt, stellt dies die Liefe­ranten vor eine große Heraus­for­derung und behindert den Wett­bewerb“, so Busch.

Vorschaubild: Die Alumi­ni­um­in­dustie ist eine der wenigen, die bisher die Möglich­keiten der abschalt­baren Lasten nutzte. Foto: LoKiLeCh /​Wikimedia /​Lizenz unter CC BY-​SA 3.0

Frank Urbansky

Freier Jour­na­list und Fach­au­tor, unter anderem für die Fach­ma­ga­zine und Portale Brenn­stoff­spie­gel, Uniti; DW Die Woh­nungs­wirt­schaft und Immo­bi­li­en­wirt­schaft; Haufe-Lexware; Energie&Management; IVV, Huss Medien; Motor­tech­ni­sche Zeit­schrift und Sprin­ger­Pro­fes­sio­nal; Sprin­ger Fachverlag; SHK Profi und tab, Bau­ver­lag; stadt+werk, k21

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