Viel ist zu lesen von der Trägheit der großen Energieversorger und ihrer verzweifelten Suche nach einem scheren Platz in der neuen Energiewelt. Der Split von RWE und innogy oder der von E.ON und Uniper sind nur zwei Modelle, die dies beschreiben. Anhand des Leipziger Erdgasspezialisten Verbundnetz Gas AG (VNG) – immerhin der drittgrößte Importeur hierzulande – kann man derzeit in Zeitlupe sehen, wie sich der Konzern anders un dohne Split aufstellt, um in einer Zukunft mit keinen oder nur sehr wenigen fossilen Energieträgern zu bestehen.
Zu Hilfe, vielleicht auch gegen den eigenen Willen, kommt dem Energieversorger auch die Marktentwicklung.
- Im Handelsgeschäft ist weder im Großhandel noch im Endkundenbereich viel Geld zu verdienen. Erster ist bezogen etwa auf Kraftwerks- und große Industriekunden sogar deutlich rückläufig. Im letzteren tummeln sich gut 900 Anbieter hierzulande, die alle einen Krümel vom großen Gaskuchen abhaben wollen.
- Das Speichergeschäft ist seit Jahren defizitär. Lohnten sich früher das Einspeisen noch, weil es einen deutlichen Preisunterschied für Gas im Winter (hoch) und Sommer (niedrig) gab, ist dies heute nicht mehr gegeben. Die Leipziger Energiebörse EEX sorgt mit börsenüblichen Absicherungen wie Terminen und Spots für Preisannäherung.
- In der Exploration ist die VNG erst seit wenigen Jahren unterwegs, kann jedoch schon einige Erfolge vorweisen. Dennoch ist auch hier ein Defizit auszumachen.
- Bliebe nur der Gastransport der Tochter Ontras. Der ist hochprofitabel, da staatlich abgesichert.
Bilanz eher mager
Die Bilanz für 2017 wies einen Gewinn von 71 Millionen Euro aus (bei einem Gesamtumsatz von 10,3 Mrd. Euro ist das mit 0,7 Prozent nicht allzu viel). Doch selbst dieser schmale Gewinn ist zum übergroßen Teil auf die Ontras zurückzuführen.
Doch deren Gewinne sind auch zu einem Gutteil vom politischen Willen abhängig, der Netzbetreibern (gleiches gilt für Strom) im Zuge der Versorgungsicherheit via Bundesnetzagentur (BNetzA) eine garantierte Rendite zugesteht. Die liegt etwa für Neuinvestitionen bei 9,05 Prozent. Doch seit diesem Jahr wurde der Zinssatz auf 6,91 Prozent für neue Anlagen und 5,12 Prozent für Bestandsanlagen abgesenkt (wenn auch aktuell dagegen seitens zahlreicher Netzbetreiber geklagt wird).
Die Ontras könnte in Zukunft nicht mehr in bisheriger Höhe die Verluste der anderen Geschäftsfelder der VNG decken. Das schlägt ins Kontor, zumal mit der EUGAL im Zuge von Nord Stream 2, mit der der VNG-Vorstand fest rechnet, ein riesiges Pipeline-Neubauprojekt durch die Ontras gestemmt werden muss.
Neue Strategie
Das ist dem Vorstand der VNG um Ulf Heitmüller bewusst. Schon im letzten Jahr riefen sie eine neue Strategie aus – VNG 2030+ genannt. Die war verbunden mit einem Jobabbau auf der einen Seite (jeder dritte im Stammsitz Leipzig musste gehen), zum anderen aber mit dem Orientieren auf neue Geschäftsfelder. Dazu gehört auch das Unterstützen und Aufkaufen von Startups. Drei Felder werden in dieser Strategie vom Vorstand genannt.
- Biogas in der VNG-Tochter Balance. Hier soll ein signifikantes Portfolio aufgebaut werden – eigentlich antizyklisch zum derzeitigen eher jämmerlichen Zustand der Biogas-Branche und deren Politik, die ihr immer neue Steine in den Weg legt. Zu den derzeit fünf Anlagen, die vor allem der Einspeisung von grünem Erdgas ins Gasnetz dienen sollen, sollen bis zu fünfzehn weitere Anlagen hinzukommen. Die VNG legt dabei einen Schwerpunk auf die Optimierung der Anlagen, so dass diese leistungsfähiger werden. Bei den bisherigen Betreibern scheint dies nicht der Fall zu sein. Das Invest wird ausschließlich in Ostdeutschland im Bereich des Ontras-Netzes stattfinden.
- Quartierslösungen mit Viertelenergie. Hier will der Konzern dezentrale Lösungen für Wohngebiete und Industriegebiete in kleinen und mittleren Städten in Ostdeutschland anbieten. Die Konzerntochter Viertelenergie wurde gemeinsam mit dem Quartiersspezialisten Tilia, ebenfalls aus Leipzig, gegründet. Dem Vorstand nach übersteigt das Interesse bei weitem die Erwartungen.
- Digitale Infrastruktur. Hier will die VNG unabhängiger Anbieter sicherer Datendienste werden. Das Hauptaugenmerk liegt auf Glasfaserleitungen, dem Ausbau des 5G-Netzes sowie dem Absichern kritischer Netzstrukturen.
Raus aus verstaubter Ecke
Liegen die beiden ersten Bereiche noch nah am bisherigen und aktuellen VNG-Hauptthema Energie, ist letzteres schon deutlich entfernter davon. Die VNG will „ein bisschen rauskommen aus der verstaubten Ecke der Energiewirtschaft und ein innovatives Unternehmen werden“, so Heitmüller. Als äußeres Zeichen verzichtete der Vorstand während der Bilanzpressekonferenz schon mal auf einen Schlips. Früher oder noch vor einem Jahr war das undenkbar.
Doch an solchen Äußerlichkeiten sollte man sich nicht aufhängen. Der Vorstand geht jedenfalls davon aus, dass im Jahre 2050 nur noch 25 Prozent mit Gas oder in der alten Energiewelt erwirtschaftet werden und 75 Prozent mit anderen Geschäften. Ein sportliches Vorhaben, das auch sehr mutig ist wenn man sich anschaut, mit welchen Schwierigkeiten etwa EON oder innogy zu kämpfen haben, die ja eine ähnliche Strategie bevorzugen. Der VNG bleibt zu wünschen, dass sie den Sprung in die Zukunft schafft und dass ihr neuer Leitsprich „Erdgas kann mehr, Wir auch“ mit Leben gefüllt wird. Es ist das größte Unternehmen in Ostdeutschland (wenn jetzt auch mit 75-prozentiger Mutter EnBW), das auch hier vor genau 60 Jahren gegründet und von hier aus geleitet wird.
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