Wollen auch ohne Schlips mehr können als nur Erdgas: VNG-Vorstände Hans-Joachim Polk, Ulf Heitmüller und Bodo Rodestock. Foto: Urbansky

VNG: Ohne Schlips in die Energie-Zukunft

von | 6. März 2018

Viel ist zu lesen von der Trägheit der großen Ener­gie­ver­sorger und ihrer verzwei­felten Suche nach einem scheren Platz in der neuen Ener­giewelt. Der Split von RWE und innogy oder der von E.ON und Uniper sind nur zwei Modelle, die dies beschreiben. Anhand des Leipziger Erdgas­spe­zia­listen Verbundnetz Gas AG (VNG) – immerhin der dritt­größte Importeur hier­zu­lande – kann man derzeit in Zeitlupe sehen, wie sich der Konzern anders un dohne Split aufstellt, um in einer Zukunft mit keinen oder nur sehr wenigen fossilen Ener­gie­trägern zu bestehen.

Zu Hilfe, viel­leicht auch gegen den eigenen Willen, kommt dem Ener­gie­ver­sorger auch die Marktentwicklung.

  • Im Handels­ge­schäft ist weder im Groß­handel noch im Endkun­den­be­reich viel Geld zu verdienen. Erster ist bezogen etwa auf Kraftwerks- und große Indus­trie­kunden sogar deutlich rück­läufig. Im letzteren tummeln sich gut 900 Anbieter hier­zu­lande, die alle einen Krümel vom großen Gaskuchen abhaben wollen.
  • Das Spei­cher­ge­schäft ist seit Jahren defizitär. Lohnten sich früher das Einspeisen noch, weil es einen deut­lichen Preis­un­ter­schied für Gas im Winter (hoch) und Sommer (niedrig) gab, ist dies heute nicht mehr gegeben. Die Leipziger Ener­gie­börse EEX sorgt mit börsen­üb­lichen Absi­che­rungen wie Terminen und Spots für Preisannäherung.
  • In der Explo­ration ist die VNG erst seit wenigen Jahren unterwegs, kann jedoch schon einige Erfolge vorweisen. Dennoch ist auch hier ein Defizit auszumachen.
  • Bliebe nur der Gastransport der Tochter Ontras. Der ist hoch­pro­fi­tabel, da staatlich abgesichert.

Bilanz eher mager

Die Bilanz für 2017 wies einen Gewinn von 71 Millionen Euro aus (bei einem Gesamt­umsatz von 10,3 Mrd. Euro ist das mit 0,7 Prozent nicht allzu viel). Doch selbst dieser schmale Gewinn ist zum über­großen Teil auf die Ontras zurückzuführen.

Doch deren Gewinne sind auch zu einem Gutteil vom poli­ti­schen Willen abhängig, der Netz­be­treibern (gleiches gilt für Strom) im Zuge der Versor­gung­si­cherheit via Bundes­netz­agentur (BNetzA) eine garan­tierte Rendite zugesteht. Die liegt etwa für Neuin­ves­ti­tionen bei 9,05 Prozent. Doch seit diesem Jahr wurde der Zinssatz auf 6,91 Prozent für neue Anlagen und 5,12 Prozent für Bestands­an­lagen abgesenkt (wenn auch aktuell dagegen seitens zahl­reicher Netz­be­treiber geklagt wird).

Die Ontras könnte in Zukunft nicht mehr in bishe­riger Höhe die Verluste der anderen Geschäfts­felder der VNG decken. Das schlägt ins Kontor, zumal mit der EUGAL im Zuge von Nord Stream 2, mit der der VNG-​Vorstand fest rechnet, ein riesiges Pipeline-​Neubauprojekt durch die Ontras gestemmt werden muss.

Neue Strategie

Das ist dem Vorstand der VNG um Ulf Heit­müller bewusst. Schon im letzten Jahr riefen sie eine neue Strategie aus – VNG 2030+ genannt. Die war verbunden mit einem Jobabbau auf der einen Seite (jeder dritte im Stammsitz Leipzig musste gehen), zum anderen aber mit dem Orien­tieren auf neue Geschäfts­felder. Dazu gehört auch das Unter­stützen und Aufkaufen von Startups. Drei Felder werden in dieser Strategie vom Vorstand genannt.

  1. Biogas in der VNG-​Tochter Balance. Hier soll ein signi­fi­kantes Portfolio aufgebaut werden – eigentlich anti­zy­klisch zum derzei­tigen eher jämmer­lichen Zustand der Biogas-​Branche und deren Politik, die ihr immer neue Steine in den Weg legt. Zu den derzeit fünf Anlagen, die vor allem der Einspeisung von grünem Erdgas ins Gasnetz dienen sollen, sollen bis zu fünfzehn weitere Anlagen hinzu­kommen. Die VNG legt dabei einen Schwerpunk auf die Opti­mierung der Anlagen, so dass diese leis­tungs­fä­higer werden. Bei den bishe­rigen Betreibern scheint dies nicht der Fall zu sein. Das Invest wird ausschließlich in Ostdeutschland im Bereich des Ontras-​Netzes stattfinden.
  2. Quar­tiers­lö­sungen mit Vier­tel­en­ergie. Hier will der Konzern dezen­trale Lösungen für Wohn­ge­biete und Indus­trie­ge­biete in kleinen und mittleren Städten in Ostdeutschland anbieten. Die Konzern­tochter Vier­tel­en­ergie wurde gemeinsam mit dem Quar­tiers­spe­zia­listen Tilia, ebenfalls aus Leipzig, gegründet. Dem Vorstand nach über­steigt das Interesse bei weitem die Erwartungen.
  3. Digitale Infra­struktur. Hier will die VNG unab­hän­giger Anbieter sicherer Daten­dienste werden. Das Haupt­au­genmerk liegt auf Glas­fa­ser­lei­tungen, dem Ausbau des 5G-​Netzes sowie dem Absichern kriti­scher Netzstrukturen.

Raus aus verstaubter Ecke

Liegen die beiden ersten Bereiche noch nah am bishe­rigen und aktuellen VNG-​Hauptthema Energie, ist letzteres schon deutlich entfernter davon. Die VNG will „ein bisschen raus­kommen aus der verstaubten Ecke der Ener­gie­wirt­schaft und ein inno­va­tives Unter­nehmen werden“, so Heit­müller. Als äußeres Zeichen verzichtete der Vorstand während der Bilanz­pres­se­kon­ferenz schon mal auf einen Schlips. Früher oder noch vor einem Jahr war das undenkbar.

Doch an solchen Äußer­lich­keiten sollte man sich nicht aufhängen. Der Vorstand geht jeden­falls davon aus, dass im Jahre 2050 nur noch 25 Prozent mit Gas oder in der alten Ener­giewelt erwirt­schaftet werden und 75 Prozent mit anderen Geschäften. Ein sport­liches Vorhaben, das auch sehr mutig ist wenn man sich anschaut, mit welchen Schwie­rig­keiten etwa EON oder innogy zu kämpfen haben, die ja eine ähnliche Strategie bevor­zugen. Der VNG bleibt zu wünschen, dass sie den Sprung in die Zukunft schafft und dass ihr neuer Leit­sprich „Erdgas kann mehr, Wir auch“ mit Leben gefüllt wird. Es ist das größte Unter­nehmen in Ostdeutschland (wenn jetzt auch mit 75-​prozentiger Mutter EnBW), das auch hier vor genau 60 Jahren gegründet und von hier aus geleitet wird.

Frank Urbansky

Freier Jour­na­list und Fach­au­tor, unter anderem für die Fach­ma­ga­zine und Portale Brenn­stoff­spie­gel, Uniti; DW Die Woh­nungs­wirt­schaft und Immo­bi­li­en­wirt­schaft; Haufe-Lexware; Energie&Management; IVV, Huss Medien; Motor­tech­ni­sche Zeit­schrift und Sprin­ger­Pro­fes­sio­nal; Sprin­ger Fachverlag; SHK Profi und tab, Bau­ver­lag; stadt+werk, k21

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