Die Energiewirtschaft hat bei den PV-Ausschreibungen die Nase vorn. Foto: EnBW / Uli Deck

Flexibler Wärme­strom – eine Lösung gegen Netzüberlastungen

von | 4. November 2015

Es ist immer noch eines der großen Probleme der Ener­gie­wende: Was tun mit einmal produ­zierten, aber nicht zu gebrau­chenden über­schüs­sigen Strom aus Wind und PV? Speicher ist die eine Lösung, intel­li­gente Anwen­dungen wie Smart Meter eine andere. Doch auch der Wärme­markt ist in der Lage, den Strom aufzu­nehmen und in Wärme umzu­wandeln. Das ist zwar nicht sehr effizient, aber immer noch besser, als Windräder abzu­schalten oder eine Netz­über­lastung zu riskieren.

In einem Modell­versuch im badischen Boxberg (Main-​Tauber-​Kreis) testet die EnBW, inwieweit Wärmestrom-​Anlagen einge­setzt werden können, um den über­schüs­sigen Strom sinnvoll zu nutzen und gleich­zeitig die Netze zu stabi­li­sieren. Erste Ergeb­nisse liegen vor. 2016 nun soll das Prjekt weiter­ge­führt werden.

Gemeinsam mit der Gemeinde Boxberg fand die EnBW im Boxberger Ortsteil Ober­schüpf die ersten 15 Wärmestrom-​Kunden, die in der Heiz­pe­riode vor zwei Jahren den Start des Forschungs­pro­jekts beglei­teten. Bei einem Teil der Gruppe wurde ein Zusatz­gerät instal­liert, das es ermög­lichte, die Anlage bei Bedarf anzu­steuern und zu regeln. Kosten entstanden den Kunden dafür nicht. Eine kleine Vergütung belohnte hingegen ihren Pionier­geist. Mit der Heiz­pe­riode 2014/​15 hat die EnBW die Forschungs­gruppe auf 150 Wärmestrom-​Kunden ausgeweitet. 

Der Versuch hob und hebt auf kleinere Verbraucher in Privat­haus­halten, Klein­ge­werbe und kommu­nalen Liegen­schaften ab. Die Gemeinden zeichnen sich durch eine Kombi­nation aus hoher und stei­gender Anzahl an Wind- und PV-​Anlagen in Verbindung mit einer hohen Dichte von Wärme­strom­an­lagen, also Wärme­pumpen und Nacht­spei­cher­hei­zungen, aus.

Die Ziele waren folgende:

  • Die Last­spitzen durch den Über­schuss erneu­er­barer Energien im Stromnetz werden reduziert. Das Stromnetz kann dadurch effi­zi­enter betrieben werden.
  • Im Stromnetz werden zukunfts­trächtige Techniken wie intel­li­gente Orts­netz­sta­tionen einge­setzt, die auch bei stark schwan­kender Ener­gie­er­zeugung eine hohe Versor­gungs­si­cherheit garantieren.
  • Die Erfah­rungen fließen in die Über­le­gungen für mögliche Kunden­an­gebote ein.

Nun liegen die ersten Ergeb­nisse aus der letzten Heiz­pe­riode vor. Die EnBW dazu:

Der Modell­versuch zeigt, wie das Zusam­men­spiel von Smart Market und Smart Grid aussehen könnte. Mit der Umsetzung des Frei­ga­be­quo­ten­prinzips im Modell­versuch ist es gelungen, ein effi­zi­entes System zur Bewirt­schaftung bezie­hungs­weise verläss­lichen Vermeidung von poten­ti­ellen Netz­eng­pässen für die Nieder- und Mittel­span­nungs­ebene aufzubauen. 

Die Frei­ga­be­quoten lassen dabei auf der Markt­seite ein Größtmaß an Frei­heiten für vertrieb­liche Akti­vi­täten zu. Das Prinzip lässt sich diskri­mi­nie­rungsfrei auch für mehrere Liefe­ranten in einem Netz­gebiet aufbauen.

Für eine Reali­sierung, etwa als eigen­stän­digen Tarif, bedarf es aber nach Ansicht von EnBW noch der folgenden poli­ti­schen und recht­lichen Änderungen:

  • Die Einführung von intel­li­genten Mess­sys­temen (Smart Meter): Mess­systeme bilden das zentrale Element zur Nutz­bar­ma­chung von Flexi­bi­li­täten. Es ist daher sicher­zu­stellen, dass diese neue Infra­struktur die Anfor­de­rungen neuer Produkte erfüllt und von diesen genutzt werden können. 
  • Die Umsetzung neuer Bilan­zie­rungs­ver­fahren: Um flexible Tarife anbieten zu können, muss das bisherige Bilan­zie­rungs­ver­fahren (auf Basis von Stan­dard­last­pro­filen) durch ein neuar­tiges Bilan­zie­rungs­ver­fahren abgelöst werden. In diesem Zusam­menhang sind geringfüge Anpas­sungen bei den Markt­pro­zessen erforderlich.
  • Die Bestimmung der Frei­heits­grade im Verteilnetz (Gleich­zei­tig­keits­fak­toren): Um die System­sta­bi­lität in den Verteil­netzen nicht zu gefährden, müssen die Frei­heits­grade bzw. freien Kapa­zi­täten einzelner Netz­ab­schnitte bekannt sein. Die Bestimmung und Über­wa­chung der Frei­heits­grade ist mit einem nicht vernach­läs­sig­baren Aufwand verbunden. Dies setzt eine Aner­kennung der Kosten im Rahmen der Anreiz­re­gu­lierung voraus. 
  • Die Ausge­staltung des §14a EnWG: Das aktuelle Ener­gie­wirt­schafts­gesetz beinhaltet eine Verord­nungs­er­mäch­tigung, die für unter­brechbare Verbrauchs­ein­rich­tungen bei einem netz­dien­lichen Verhalten ein geson­dertes Netz­entgelt vorsieht. Die EnBW sieht den vorge­stellten Ansatz als mögliche Weiter­ent­wicklung des bishe­rigen Systems der Freigabe- und Sperrzeiten.

Vorschaubild: Der Solarpark Leiber­tingen der EnBW. Foto: EnBW /​Uli Deck

Frank Urbansky

Freier Jour­na­list und Fach­au­tor, unter anderem für die Fach­ma­ga­zine und Portale Brenn­stoff­spie­gel, Uniti; DW Die Woh­nungs­wirt­schaft und Immo­bi­li­en­wirt­schaft; Haufe-Lexware; Energie&Management; IVV, Huss Medien; Motor­tech­ni­sche Zeit­schrift und Sprin­ger­Pro­fes­sio­nal; Sprin­ger Fachverlag; SHK Profi und tab, Bau­ver­lag; stadt+werk, k21

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