Für den immer höher werdenden Anteil an fluktuierender Energieerzeugung, wie hier Offshore-Windkraft, bedarf es absichernder Mechanismen im Strommarkt, um die Versorgungsicherheit zu gewährleisten. Foto: Urbansky

Windkraft unter der Lupe: Was die Form der Ener­gie­ge­winnung kann

von | 18. August 2025

Die Umstellung von fossilen Brenn­stoffen auf erneu­erbare Energien schreitet weltweit mit hohem Tempo voran. Windkraft nimmt dabei eine Schlüs­sel­rolle ein, weil sie rund um die Uhr Strom generiert, auf ausge­reifter Tech­no­logie basiert und zugleich Raum für weitere Opti­mierung lässt. Moderne Anlagen erzielen heute Leis­tungs­werte, die vor zehn Jahren noch kaum vorstellbar wirkten. Parallel dazu wächst das Netz an Speicher- und Steue­rungs­tech­no­logien, wodurch sich Windstrom präzise in die Versor­gungs­systeme inte­grieren lässt. Trotz dieser Erfolge steht die Branche vor wach­senden Anfor­de­rungen: Höhere Akzeptanz, nach­haltige Mate­rialien, gerin­gerer Flächen­ver­brauch und besseres Recycling rücken in den Vorder­grund. Ein Blick auf den aktuellen Stand sowie auf Entwick­lungen zwischen 2021 und 2024 zeigt, welches Potenzial bereits Realität ist und welche Inno­va­ti­ons­pfade neue Horizonte eröffnen.

Status quo der Wind­energie im Jahr 2025

Rund 1,1 Terawatt instal­lierte Leistung dreht sich weltweit in On- und Offshore-​Parks, weit mehr als die Hälfte davon in den letzten sieben Jahren errichtet. Offshore-​Anlagen machten lange nur einen Bruchteil der Gesamt­leistung aus, doch anspruchs­volle Märkte wie Groß­bri­tannien, China oder Dänemark treiben schwim­mende Funda­mente voran, weshalb die Segmente nahezu gleichauf wachsen. In Deutschland summierte sich die Wind­strom­erzeugung 2023 erstmals auf über 130 TWh – rund 32 Prozent des Brut­to­strom­ver­brauchs. Die Effi­zi­enz­ge­winne resul­tieren nicht allein aus größer dimen­sio­nierten Rotoren und höherem Turm­design: Digitale Zwillinge, lernende Betriebs­führung und verbes­serte Wartungs­stra­tegien heben Verfüg­barkeit und Lebens­dauer signi­fikant an. Ein 6‑MW-​Prototyp aus dem Jahr 2010 liefert im Jahres­durch­schnitt etwa 15 GWh, während eine moderne 15-​MW-​Offshore-​Anlage auf 63 GWh kommt – ein Faktor 4 bei einer Verdrei­fa­chung der Nennleistung.

Die politisch beschleu­nigten Geneh­mi­gungs­pro­zesse in Europa und Nord­amerika verschaffen Projekten kürzere Vorlauf­zeiten. Parallel steigt der Druck, Engpässe im Netz zu vermindern. Flexi­bi­li­täts­op­tionen wie Power-​to-​Heat, Batte­rie­speicher im Giga­watt­maßstab oder Wasser­stoff­elek­trolyse rücken deshalb in unmit­telbare Nähe zu großen Parks. Ein Netz­be­treiber aus Nord­deutschland ersetzt seit 2022 mehrere hundert Megawatt Redispatch-​Leistung durch auto­ma­tische Parks & Storage-​Cluster, deren Stand­ortwahl das Engpass­ma­nagement gleich mit berücksichtigt.

Sieben Punkte, die dabei zentral sind:

  • Abstands­vor­gaben früh­zeitig mit kommu­nalen Entwick­lungs­plänen abgleichen, um Konflikt­po­tenzial zu minimieren
  • Wind­gut­achten parallel zu Arten- und Schall­schutz­un­ter­su­chungen erstellen, wodurch Geneh­mi­gungs­zeit­räume verkürzt werden
  • Digi­ta­li­sierung vom ersten Tag an mitdenken: Sensorik für voraus­schauende Wartung reduziert Betriebs­un­ter­bre­chungen um bis zu 20 Prozent
  • Kombi­nation mit Photo­voltaik prüfen; Doppel­nutzung steigert Flächen­ertrag und verringert Netzanschlusskosten
  • Lang­fristige Stromabnahme­verträge (PPA) mit Indus­trie­partnern abschließen, um Finan­zie­rungs­kon­di­tionen zu verbessern
  • Recy­cling­stra­tegie bereits in der Ausschreibung festlegen; recy­celbare Rotor­blätter entlasten Umwelt- und Entsorgungsetats

Schwim­mende Riesen und recy­celbare Rotoren – tech­nische Quantensprünge

Der Inno­va­ti­ons­zyklus hat sich in der jungen Dekade nochmals beschleunigt. Im Herbst 2023 lieferte Siemens Gamesa mit der RecyclableBlade-​Technologie das weltweit erste indus­trielle Rotor­blatt, dessen Verbund­werk­stoffe sich voll­ständig in ihre Ausgangs­ma­te­rialien zerlegen lassen. Herkömm­liche Glas­fa­ser­ver­bunde erfordern kosten­in­tensive Sonder­de­ponien, doch das neuartige Harz­system erlaubt ein chemi­sches Auftrennen der Fasern, die anschließend in der Luftfahrt- oder Auto­mo­bil­branche weiter­ver­wendet werden. Dieser Schritt gilt als Meilen­stein auf dem Weg zur Kreis­lauf­wirt­schaft, weil bislang ungefähr 90 Prozent eines Windrades recy­cling­fähig waren – das Blatt­ma­terial bildete bislang die große Ausnahme.

Mindestens ebenso wegweisend verläuft die Entwicklung schwim­mender Funda­mente. Das norwegisch-​dänische Projekt TetraSpar demons­triert seit 2021, wie sich modulare Stahl­dreiecke ohne teure Werft­montage zusam­men­fügen lassen. Das Prinzip verlagert 90 Prozent der Arbeiten an Land, senkt Trans­port­kosten und erschließt Tiefen bis 100 Meter. 2024 reali­sierte die Pilot­anlage vor der norwe­gi­schen Küste einen Kapa­zi­täts­faktor von über 65 Prozent – ein Wert, der Onshore-​Parks beinahe um den Faktor 2 über­trifft. Die Daten fließen in Seri­en­mo­delle mit 15- bis 20-​MW-​Turbinen ein, die ab 2026 Parks mit mehr als 1 GW Gesamt­leistung versorgen.

Von der Projektidee zum laufenden Park

Projek­tierer inte­grieren Inno­va­tionen meist schritt­weise, um tech­nische Risiken gering zu halten. Ein typischer Ablauf startet mit der Stand­ort­iden­ti­fi­kation, gefolgt von Wind­mess­masten oder LiDAR-​Scans. Netz­an­schluss, Baugrund­analyse und Wirt­schaft­lich­keits­be­rechnung verlaufen parallel. In dieser Phase lohnt ein Blick auf bran­chen­weite Best-​Practice-​Beispiele. Wind- und Solar­parks als zukunfts­trächtige Projekte zeigen exem­pla­risch, wie kombi­nierte Nutzungs­kon­zepte entstehen, bei denen Wind- und PV-​Erzeugung denselben Netz­an­schluss teilen. Auf diese Weise sinken die Anschluss­kosten um bis zu 25 Prozent, während die Netz­be­lastung gleich­mä­ßiger verteilt wird.

Im Anschluss an die Geneh­migung rückt die Finan­zierung in den Vorder­grund. Banken hono­rieren geprüfte Liefer­ketten, trans­pa­rente Recy­cling­pläne und Absi­che­rungen gegen Rohstoff­preis­ri­siken. Ab 2023 stieg das Volumen privater PPA-​Finanzierungen in Europa auf über 14 GW, was die Abhän­gigkeit von staat­lichen Förder­budgets reduziert. Gleich­zeitig verschärfen sich die ESG-​Kriterien insti­tu­tio­neller Anleger, sodass Rotor-​Recycling und Biodi­ver­si­täts­kon­zepte in Pflicht­ka­taloge übergehen.

Leis­tungs­fähige Netzintegration

Die Einspeisung großer Wind­mengen erfordert intel­li­gente Systeme, um Frequenz- und Span­nungs­sta­bi­lität zu wahren. Moderne Umrichter verhalten sich netz­bildend, liefern also synthe­tische Trägheit und über­nehmen Aufgaben, die bisher Dreh­strom­ma­schinen in Groß­kraft­werken erle­digten. Zudem regeln sie Blind­leistung bedarfs­ge­recht, was Span­nungs­profile in Verteil­netzen stabi­li­siert. Auf Trans­mis­si­ons­ebene entstehen seit 2022 Hybrid­lei­tungs­pro­jekte, die Hochspannungs-​Gleichstromtechnik mit herkömm­lichen Drehstrom-​Kreisen kombi­nieren. Eine 500 Kilometer lange HGÜ-​Verbindung in China trans­por­tiert 6 GW Offshore-​Leistung verlustarm ins Binnenland und verbessert so die Versorgung südlicher Industriestandorte.

Auch der Orts­netz­be­reich rückt ins Blickfeld. Dort ersetzen Trans­for­ma­toren mit On-​Load-​Tap-​Changer und inte­grierter Kommu­ni­kation klas­sische Stufen­schalter. Die Umrichter der Windparks liefern notwendige Daten zu Span­nungs­kurven und Einspeisung, wodurch Vertei­ler­sta­tionen dynamisch reagieren. So sinkt der Bedarf an Redispatch-​Eingriffen, wodurch sich die Einspei­se­schwelle zusätz­licher Anlagen erhöht. Fort­schritt­liche Betriebs­führung kombi­niert dabei satel­li­ten­ge­stützte Wetter­pro­gnosen, Echt­zeit­daten der Anlagen und Markt­preis­si­gnale, um Ertrag und Netz­sta­bi­lität gleich­zeitig zu optimieren.

Heraus­for­de­rungen und Lösungen

Trotz beein­dru­ckender Fort­schritte bleibt der Fach­kräf­te­mangel ein zentrales Risiko. Elek­tro­tech­niker, Statiker und Software-​Ingenieure stehen vielerorts nicht in ausrei­chender Zahl zur Verfügung. Ausbil­dungs­in­itia­tiven in Koope­ration mit Univer­si­täten und Herstel­ler­aka­demien zielen darauf, den Talentpool zu verbreitern. Gleich­zeitig drängt die Branche auf agile Projekt­ma­nage­ment­me­thoden, um Wissens­transfer zwischen Entwicklung, Montage und Service zu beschleunigen.

Ein zweites Thema betrifft Rohstoff­preise. Seltene Erden in Perma­nent­ma­gneten schwankten seit 2021 extrem. Hersteller expe­ri­men­tieren daher mit Ferrit-​Alternativen oder getrie­belosen Direkt­an­trieben ohne Magnete. Erste Proto­typen von 8 MW Onshore-​Antrieben erreichten 2024 Wirkungs­grade von 95 Prozent, bei Produk­ti­ons­kosten unterhalb konven­tio­neller Systeme. So verringert sich die Abhän­gigkeit von globalen Rohstoff­märkten, und Preis­ri­siken schrumpfen.

Eine dritte Heraus­for­derung liegt in Alte­rungs­pro­zessen exis­tie­render Parks. Über 30 GW deutscher Onshore-​Leistung stammen aus den Jahren 20002005 und erreichen bald das Ende der EEG-​Förderdauer. Repowering gilt als zentrale Strategie. Moderne 6‑MW-​Nachfolger erzeugen auf gleicher Fläche den vier­fachen Jahres­ertrag, während neuartige Funda­mente und modulare Türme den Rückbau verein­fachen. Gleich­zeitig erwirt­schaften Sekun­där­märkte in Osteuropa und Südamerika Zusatz­erlöse aus dem Verkauf gebrauchter Anlagen, die dort einen zweiten Lebens­zyklus absolvieren.

Windkraft als Fundament einer klima­neu­tralen Energiezukunft

Wind­energie hat sich in den Jahren 20212024 von einer etablierten Tech­no­logie zur Inno­va­ti­ons­schmiede gewandelt. Schwim­mende Funda­mente erschließen tiefe Meeres­ge­biete, recy­celbare Rotor­blätter lösen das End-​of-​Life-​Problem, und hölzerne Türme senken den CO2-​Abdruck und verringern den Trans­port­aufwand. Parallel dazu profes­sio­na­li­siert sich das Projekt­ma­nagement: Digitale Zwillinge, lückenlose Liefer­ket­ten­nach­weise und flexible Finan­zie­rungs­mo­delle festigen das Vertrauen von Inves­toren und Gemeinden glei­cher­maßen. Während Fach­kräf­te­mangel, Rohstoff­preise und Netz­ausbau offene Baustellen bleiben, exis­tieren konkrete Lösungs­an­sätze – von magnet­freien Gene­ra­toren bis zu HGÜ-Hybridleitungen.

Die Wind­kraft­branche stellt damit nicht nur zusätz­liche Strom­menge bereit, sondern verschmilzt mit Wasserstoff‑, Wärme- und Spei­cher­sek­toren zu einem inte­grierten Ener­gie­system. Gerade dieser syste­mische Ansatz verleiht der Tech­no­logie neue Relevanz: Jedes weitere Gigawatt Wind­leistung wirkt doppelt, indem es fossile Strom­pro­duktion verdrängt und den Weg für klima­neu­trale Indus­trie­pro­zesse ebnet. Die heute sicht­baren Inno­va­tionen deuten darauf hin, dass Wind­energie ihr Potenzial bei Weitem noch nicht ausge­schöpft hat. Sie hat sich vielmehr als tragendes Fundament etabliert, auf dem eine zukunfts­ori­en­tierte, zuver­lässige und nach­haltige Ener­gie­land­schaft entsteht.

Frank Urbansky

Freier Jour­na­list und Fach­au­tor, unter anderem für die Fach­ma­ga­zine und Portale Brenn­stoff­spie­gel, Uniti; DW Die Woh­nungs­wirt­schaft und Immo­bi­li­en­wirt­schaft; Haufe-Lexware; Energie&Management; IVV, Huss Medien; Motor­tech­ni­sche Zeit­schrift und Sprin­ger­Pro­fes­sio­nal; Sprin­ger Fachverlag; SHK Profi und tab, Bau­ver­lag; stadt+werk, k21

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