Der Mineralölmarkt ist ein schrumpfender, so wie es in den 50er und 60er Jahren der Brikettmarkt war. Damals orientierten sich viele Brennstoffhändler um, nahmen Heizöl ins Sortiment und eröffneten ein völlig neues Geschäftsfeld. Doch die Zeiten ändern sich. Nun stehen dank der Liberalisierung Strom und Gas auf der Agenda des Mittelstandes. Wie funktionieren die Konzepte? Und: Kann man damit erfolgreich sein?
Der stärkste Wettbewerber des Heizölhändlers ist das Gas. Seit den 70er Jahren schnappt die leitungsgebundene Energieform dem Heizöl Marktanteile weg und liegt inzwischen unangefochten auf Platz eins. Doch diese Gegnerschaft muss keine bleiben. Seit rund zwei Jahren bieten immer mehr mittelständische Brennstoffhändler Erdgas an. Einige haben sogar Strom im Portfolio. Zeit also nachzufragen, wie der Vertrieb organisiert wurde und ob das Geschäft ein erfolgreiches ist.
Einer der Trendsetter war und ist AVIA Mineralöl GmbH, München. Die AVIA bietet seinen Partnern und Gesellschaftern maßgeschneiderte Konzepte an, mit denen sie AVIA my gas und Avia my strom vertreiben können. Von den Partnern wurde das gern angenommen. „AVIA bündelt den Einkauf von Erdgas und Strom der einzelnen Gesellschafter. Dadurch wird ein Synergieeffekt für jeden einzelnen AVIA Partner bei der Beschaffung erzielt“, beschreibt Lothar Böhm vom Energievertrieb beim AVIA-Gesellschafter Hermann Bantleon GmbH in Ulm, den daraus entstehenden Preisvorteil, der das Modell erst marktfähig macht.
Ähnlich funktioniert der Gashandel bei AGRAVIS. Hier hat sich die eigens gegründete Raiffeisen Energie GmbH & Co KG, an der zahlreiche Genossenschaften in Niedersachsen beteiligt sind, für einen gebündelten Einkauf entschieden. Einen anderen Weg geht MONTANA. Die Bayern, die als erster Mineralölhändler ins Gasgeschäft eingestiegen sind, haben sich mittlerweilen eine eigene Beschaffungsabteilung aufgebaut und beziehen ihr Gas von internationalen Gasproduzenten. „Dies ermöglicht uns eine flexible und marktnahe Beschaffung, die bei der Tarifgestaltung eine wesentliche Rolle spielt“ so Stefan Koburger, Geschäftsführer der MONTANA Erdgas GmbH & Co. KG.
Qualität der Mitarbeiter entscheidend
Einfach ein fertiges Konzept abzugreifen, funktioniert jedoch nicht. Die Arbeit vor Ort ist entscheidend, weiß Christine Keslar-Tunder, Geschäftsführerin von KESLAR in Kempten: „Unsere Kunden werden von uns halt gut betreut und beraten. Wir kennen den Wettbewerb und den Service sowie die Beratungsqualität der Mitbewerber.“ Zudem biete man transparente Preise und eine klare Abrechnung. Lockvogelangebot und Boni seien mit ihr nicht zu machen.
Wichtig ist die Qualität der Mitarbeiter. Bei AVIA-Partner KESLAR hat man aus der Not (dem schwachen Heizölgeschäft) eine Tugend (Mitarbeiter-Umschulung) gemacht. Angestellte mit freien Kapazitäten wurden auf Gas- und Stromvertrieb umgeschult. MONTANA dagegen baute in den letzten drei Jahren seinen Erdgasbereich intensiv aus und beschäftigt mittlerweile ein neues Team von über 20 Mitarbeitern für den Vertrieb und die Betreuung der Privat und Geschäftskunden.
Auch bei Scharr in Stuttgart stellte man zusätzliches Personal ein, bei OTTO FRICKE in Gütersloh ebenso. Hier kümmern sich ein Mitarbeiter und eine Auszubildende ausschließlich um Gas- und Stromkunden. „Es bewährt sich, Spezialisten für diesen Bereich auszubilden“, bringt es Bernhard Austermann, Geschäftsführer beim AVIA-Partner auf den Punkt.
Rainer Janz, Produkt- und Qualitätsmanager beim Ulmer Schmierstoffproduzenten und Energiehändler BANTLEON erachtet noch etwas anderes als wichtig: „Insgesamt muss solch ein Strategiewandel natürlich intern entsprechend kommuniziert werden, um durchgängige Akzeptanz zu schaffen. Das bedeutet für viele ein strategisches Umdenken. Man sollte speziellen Wert auf die Kundennähe und die individuelle Beratung legen. Nur dann kann das neue Geschäftsfeld funktionieren.“
Welche Kunden kommen?
Ein funktionierender Gashandel erfordert auch bereitwillige und für das Angebot offene Kunden. Hier haben die meisten Einsteiger sehr gute Erfahrungen gemacht. „Wir stellen eine deutlich positive Entwicklung fest“, so Markus König, Prokurist bei SCHARR. „Wir verzeichnen einen kontinuierlichen Kundenzuwachs bei allen von uns angebotenen Tarifen. Die Zugriffszahlen im Internet und die telefonischen Anfragen zu unseren Produkten belegen den positiven Trend der letzten zwölf Monate.“
Valeria Dingler von MONTANA kann bereits auf über 40.000 Gaskunden verweisen. „Wir bieten unseren Kunden günstige und flexible Tarifmodelle mit kurzen Kündigungsfristen an.“ so die Marketingexpertin der MONTANA Gruppe. Zudem profitierten die Kunden von dem ganzheitlichen Konzept „Energie und Technik – Alles aus einer Hand“.
OTTO FRICKE setzt auf unproblematische Verträge. „Wir bieten unseren Kunden immer einen Vertrag für ein Jahr mit einem ebenso lange gültigen Festpreis. Die Verträge laufen automatisch aus, ohne Anpassungs- oder Verlängerungsklauseln. Das halten nicht nur wir für eine faire Vertragsgestaltung, sondern ebenso unsere Kunden, für die das ein wichtiges Argument ist, uns als Anbieter zu wählen“, berichtet Bernhard Austermann. Außerdem ist das Unternehmen so gezwungen, regelmäßig mit seinen Kunden in Kontakt zu treten und über die Vertragsverlängerung zu sprechen.
Ein großer Vorteil für jeden ins Geschäft einsteigenden Mittelständler ist die regionale Verbundenheit. „Der Schlüssel des Erfolges unseres neuen Gasgeschäftes liegt in der guten regionalen Verbreitung und der ausgeprägten Servicementalität der Mitarbeiter. Mit üblichen Werbemaßnahmen oder preislichen Lockangeboten wäre dieser strukturelle Erfolg nicht zu bewerkstelligen gewesen“, konstatiert Michael Rosehr von AGRAVIS.
Intensive Werbung
Keiner der Brennstoffhändler setzt auf Billig-Angebote. Stattdessen gewinnen sie ihre Kunden über transparente Preise und die regionale Nähe. Man kennt sich halt, wie es ein Händler formulierte. Von allein kamen die Kunden jedoch nicht. Dafür sorgten ausgefeilte Werbekampagnen. Auch in Medien, in denen die Firmen bisher noch nicht präsent waren. MONTANA wurde sogar im regionalen Fernsehen aktiv und setzt verstärkt auf Direktmailings, die AVIA unterstützte ihre Partner bei vielfältigen Maßnahmen – bis hin zu Funkspots. Bei KESLAR fuhr man die Heizölwerbung zurück und investierte in ein altbewährtes Rezept: Kunden werben Kunden. SCHARR und AGRAVIS hingegen setzen ganz auf klassische Printwerbung via Anzeigen und Direkt-Mailings.
Geschrieben für Brennstoffspiegel und für diesen Blog aktualisiert. Der vollständige Beitrag ist nur in der Ausgabe 10/2011 zu lesen. Zum kostenfreien Probeabo geht es hier.
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