Unter Leitung von Dr. Saad El Naggar wurde die Energieversorgung für die Neumayer-Station III entwickelt. Alle Fotos: S. El Naggar

Ener­gie­ver­sorgung in der Antarktis

von | 9. Mai 2017

Urlaubszeit – Archivzeit

Tempe­ra­turen bis – 50 °C, ständig peit­schende Winde, drei Monate totaler Dunkelheit im Winter und die gleiche Zeit ohne jegliche Dämmerung im Sommer – die Antarktis ist der extremste Land­strich der Erde. Wer hier überleben will, braucht eine zuver­lässige Ener­gie­quelle. Und die heißt: Diesel.

Aus dem Archiv

Auf der Neumayer-​Station III des Alfred-​Wegener-​Instituts (AWI) auf dem antark­ti­schen Schelfeis, nähert sich langsam der Winter. Tempe­ra­turen von ‑20 °C sind dann Alltag. Es kann aber auch noch gut 30 °C weiter runter gehen. Die tobenden Stürme verhindern (fast) jedes Leben an Land. Wer hier trotzdem über­wintern muss, wie etwa die neun ständigen Neumayer-​Bewohner, braucht vor allem eines: Wärme! Dabei verlassen sich die Forscher auf eine altbe­kannte und zuver­lässige Ener­gie­quelle. Vier Diesel­ag­gregate, davon drei als Block­heiz­kraftwerk (BHKW) zusam­men­ge­schaltet, erzeugen kuschelige Wärme und den nötigen Strom.

Lang überlegen, wie man die Station ausrei­chend mit Energie versorgt, mussten die Techniker und Inge­nieure des in Bremer­haven ansäs­sigen AWI nicht. „Diesel und das BHKW-​Prinzip sind für eine dauer­be­mannte Station in der Antarktis alter­na­tivlos“, erläutert Dr. Saad El Naggar vom AWI, der fünf Jahre mit seinen Kollegen an der Station plante und dabei vom Berliner Spezia­listen für Kraft-​Wärme-​Kopplung SES unter­stützt wurde. Man benötigt 160 kW elek­trische und 190 kW ther­mische Energie. Das BHKW schafft dies und wird noch unter­stützt durch eine kleine Windkraftanlage.

Pro Tag 800 Liter Verbrauch

In diesem Winter wurde einigen Diesel­fahrern in Deutschland bewusst, dass unter – 20 °C durch Ausflo­ckung von Paraffin wenig ging – die Antarktis hält da noch ganz andere ther­mische Kaliber bereit. Ein verklumpter Motor wäre tödlich. Entspre­chend wird der verwendete Diesel spezi­fi­ziert. „Was wir verwenden ist dem Polar­diesel, der in skan­di­na­vi­schen Ländern erhältlich ist, sehr ähnlich. Er besteht haupt­sächlich aus Kerosin mit Additiven zur Erhöhung der Schmier­ei­gen­schaften und ist frei von Paraphen“, so El Naggar. Deswegen sei die Ener­gie­dichte etwas geringer als bei normalem Diesel.

In der Station selbst fassen sechs Lager­tanks jeweils 9.000 und zwei Tages­tanks jeweils 1500 Liter. An einem normalen Tagwerden gut 800 Liter Diesel verbraucht. Daher müssen nach ca. 50 Tagen die Brenn­stoff­tanks in der Station wieder aufge­füllt werden. Im acht Kilometer entfernten Winter­lager befinden sich auf Trans­port­schlitten weitere Tank­con­tainer. Mit Hilfe von Pisten­bullys werden diese Container nach und nach zur Station verzogen und der Brenn­stoff dann in die Stati­ons­tanks umgepumpt. Die Diesel­mo­toren der Pisten­bullys werden ebenfalls mit dem Brenn­stoff betrieben.

Bei den Motoren orien­tierte man sich ebenfalls weiter nördlich. Die stammen vom schwe­di­schen Anbieter Scania und können permanent auf 25 Prozent der Nenn­leistung herunter geregelt werden. Ein normaler Schiffs­diesel, der ebenfalls auf extrem ruhige Lauf­leistung ausge­richtet ist, kann dies nur bis zu 50 Prozent. Der Hinter­grund ist ein hier­zu­lande nur allzu bekannter: Wenn die Wind­kraft­anlage, die immerhin 30 kW erzeugen kann, ins Netz einspeist, muss das BHKW runter­fahren. So etwas wird im Energiewende-​Land per Gesetz geregelt. Bei Neumayer III ist es schlichte tech­nische Notwendigkeit.

Total-​Ausfall unmöglich

Die antark­tische Lebens­feind­lichkeit bedingt eine absolut zuver­lässige Ener­gie­er­zeugung. In den Polar­nächten wäre sonst binnen weniger Tage der Ofen im wahrsten Sinne des Wortes aus. „Die drei Moto­rendes BHKW können nicht gleich­zeitig ausfallen, da nur einer im Betrieb ist. Der vierte Generator ist als Notag­gregat getrennt von den anderen drei aufge­stellt und kann allein die Station versorgen. Er hat die gleiche Konfi­gu­ration wie die anderen“, erklärt der Physiker Dr. El Naggar, der in Dresden studierte und in Bremen promo­vierte, das Sicher­heits­prinzip. Im Hava­riefall, etwa einem Maschinen-​Brand, könne die Station sogar nur mit dem Notag­gregat überleben. Das Netz, die Schalt­tafeln und die Umschaltung der Wärme­tau­scher seien dafür vorbe­reitet. Ein Kaltreserve-​Motor läge auf der Station zudem komplett als Ersatzteil bereit.

Und tatsächlich wurde dieser auch schon gebraucht. Am 23. Juli letzten Jahres, dem ersten Tag, als die Polar­nacht endete und die Sonne es gerade so über den Horizont schaffte, fiel ein Aggregat aus. Die Techniker nahmen das Teil ausein­ander, fanden den Schaden und nach Rück­sprache mit der AWI-​Logistik wurde auf Grund des Schadens entschieden, den Motor komplett zu wechseln.

Da abzusehen war, dass irgendwann mal die Motoren getauscht werden müssen, sei es wie hier durch einen Schaden oder für eine anste­hende Grund­über­holung, wurden schon in der Planungs­phase gute Zugangs –und Demontage-​Möglichkeit geschaffen. Die einzelnen Aggregate sind dabei durch demon­tier­baren Öffnungen in den Wänden der Kraft­zen­trale erreichbar.

Nach Komplet­tierung des Reser­ve­motors und einbringen in der Zentrale wurde er wieder an die Systeme ange­schlossen und konnte nach vier Tagen wieder seinen Dienst verrichten. Das Aggregat sprang sofort an und läuft bis heute ohne Beanstandungen.

Nur Diesel und Wind denkbar

Da es in der Antarktis praktisch nie windstill ist – die durch­schnitt­liche Wind­ge­schwin­digkeit beträgt 10 Meter je Sekunde (m/​s) im Jahres­mittel, und das an drei Viertel aller Tage -, kann dort Windkraft recht zuver­lässig genutzt werden. Die AWI-​Techniker planten mit dem deutschen Markt­führer Enercon eine 30 kW-​Anlage. Die läuft optimal bei 13 bis 14 m/​s und kann bis 35 m/​s arbeiten. Bei störungs­freiem Betrieb kann sie so 120.000 kWh im Jahr in die Station einspeisen, im Idealfall sind das 12 Prozent des gesamten Ener­gie­ver­brauches. Da die Anlage ein Prototyp war, gab es einige Start­pro­bleme, die mit Jahres­beginn 2012 behoben wurden. Sollte die Anlage in dieser Konfi­gu­ration weiter gut laufen, so El Naggar, kommen optional noch weitere vier hinzu.

Vorschaubild: Unter Leitung von Dr. Saad El Naggar wurde die Ener­gie­ver­sorgung für die Neumayer-​Station III entwi­ckelt. Alle Fotos: S. El Naggar

Dieser Beitrag erschien im Brenn­stoff­spiegel 04/​2012. Er ist nur in der Print­ausgabe voll­ständig zu lesen.

Frank Urbansky

Freier Jour­na­list und Fach­au­tor, unter anderem für die Fach­ma­ga­zine und Portale Brenn­stoff­spie­gel, Uniti; DW Die Woh­nungs­wirt­schaft und Immo­bi­li­en­wirt­schaft; Haufe-Lexware; Energie&Management; IVV, Huss Medien; Motor­tech­ni­sche Zeit­schrift und Sprin­ger­Pro­fes­sio­nal; Sprin­ger Fachverlag; SHK Profi und tab, Bau­ver­lag; stadt+werk, k21

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