Urlaubszeit – Archivzeit
Temperaturen bis – 50 °C, ständig peitschende Winde, drei Monate totaler Dunkelheit im Winter und die gleiche Zeit ohne jegliche Dämmerung im Sommer – die Antarktis ist der extremste Landstrich der Erde. Wer hier überleben will, braucht eine zuverlässige Energiequelle. Und die heißt: Diesel.
Aus dem Archiv
Auf der Neumayer-Station III des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) auf dem antarktischen Schelfeis, nähert sich langsam der Winter. Temperaturen von ‑20 °C sind dann Alltag. Es kann aber auch noch gut 30 °C weiter runter gehen. Die tobenden Stürme verhindern (fast) jedes Leben an Land. Wer hier trotzdem überwintern muss, wie etwa die neun ständigen Neumayer-Bewohner, braucht vor allem eines: Wärme! Dabei verlassen sich die Forscher auf eine altbekannte und zuverlässige Energiequelle. Vier Dieselaggregate, davon drei als Blockheizkraftwerk (BHKW) zusammengeschaltet, erzeugen kuschelige Wärme und den nötigen Strom.
Lang überlegen, wie man die Station ausreichend mit Energie versorgt, mussten die Techniker und Ingenieure des in Bremerhaven ansässigen AWI nicht. „Diesel und das BHKW-Prinzip sind für eine dauerbemannte Station in der Antarktis alternativlos“, erläutert Dr. Saad El Naggar vom AWI, der fünf Jahre mit seinen Kollegen an der Station plante und dabei vom Berliner Spezialisten für Kraft-Wärme-Kopplung SES unterstützt wurde. Man benötigt 160 kW elektrische und 190 kW thermische Energie. Das BHKW schafft dies und wird noch unterstützt durch eine kleine Windkraftanlage.
Pro Tag 800 Liter Verbrauch
In diesem Winter wurde einigen Dieselfahrern in Deutschland bewusst, dass unter – 20 °C durch Ausflockung von Paraffin wenig ging – die Antarktis hält da noch ganz andere thermische Kaliber bereit. Ein verklumpter Motor wäre tödlich. Entsprechend wird der verwendete Diesel spezifiziert. „Was wir verwenden ist dem Polardiesel, der in skandinavischen Ländern erhältlich ist, sehr ähnlich. Er besteht hauptsächlich aus Kerosin mit Additiven zur Erhöhung der Schmiereigenschaften und ist frei von Paraphen“, so El Naggar. Deswegen sei die Energiedichte etwas geringer als bei normalem Diesel.
In der Station selbst fassen sechs Lagertanks jeweils 9.000 und zwei Tagestanks jeweils 1500 Liter. An einem normalen Tagwerden gut 800 Liter Diesel verbraucht. Daher müssen nach ca. 50 Tagen die Brennstofftanks in der Station wieder aufgefüllt werden. Im acht Kilometer entfernten Winterlager befinden sich auf Transportschlitten weitere Tankcontainer. Mit Hilfe von Pistenbullys werden diese Container nach und nach zur Station verzogen und der Brennstoff dann in die Stationstanks umgepumpt. Die Dieselmotoren der Pistenbullys werden ebenfalls mit dem Brennstoff betrieben.
Bei den Motoren orientierte man sich ebenfalls weiter nördlich. Die stammen vom schwedischen Anbieter Scania und können permanent auf 25 Prozent der Nennleistung herunter geregelt werden. Ein normaler Schiffsdiesel, der ebenfalls auf extrem ruhige Laufleistung ausgerichtet ist, kann dies nur bis zu 50 Prozent. Der Hintergrund ist ein hierzulande nur allzu bekannter: Wenn die Windkraftanlage, die immerhin 30 kW erzeugen kann, ins Netz einspeist, muss das BHKW runterfahren. So etwas wird im Energiewende-Land per Gesetz geregelt. Bei Neumayer III ist es schlichte technische Notwendigkeit.
Total-Ausfall unmöglich
Die antarktische Lebensfeindlichkeit bedingt eine absolut zuverlässige Energieerzeugung. In den Polarnächten wäre sonst binnen weniger Tage der Ofen im wahrsten Sinne des Wortes aus. „Die drei Motorendes BHKW können nicht gleichzeitig ausfallen, da nur einer im Betrieb ist. Der vierte Generator ist als Notaggregat getrennt von den anderen drei aufgestellt und kann allein die Station versorgen. Er hat die gleiche Konfiguration wie die anderen“, erklärt der Physiker Dr. El Naggar, der in Dresden studierte und in Bremen promovierte, das Sicherheitsprinzip. Im Havariefall, etwa einem Maschinen-Brand, könne die Station sogar nur mit dem Notaggregat überleben. Das Netz, die Schalttafeln und die Umschaltung der Wärmetauscher seien dafür vorbereitet. Ein Kaltreserve-Motor läge auf der Station zudem komplett als Ersatzteil bereit.
Und tatsächlich wurde dieser auch schon gebraucht. Am 23. Juli letzten Jahres, dem ersten Tag, als die Polarnacht endete und die Sonne es gerade so über den Horizont schaffte, fiel ein Aggregat aus. Die Techniker nahmen das Teil auseinander, fanden den Schaden und nach Rücksprache mit der AWI-Logistik wurde auf Grund des Schadens entschieden, den Motor komplett zu wechseln.
Da abzusehen war, dass irgendwann mal die Motoren getauscht werden müssen, sei es wie hier durch einen Schaden oder für eine anstehende Grundüberholung, wurden schon in der Planungsphase gute Zugangs –und Demontage-Möglichkeit geschaffen. Die einzelnen Aggregate sind dabei durch demontierbaren Öffnungen in den Wänden der Kraftzentrale erreichbar.
Nach Komplettierung des Reservemotors und einbringen in der Zentrale wurde er wieder an die Systeme angeschlossen und konnte nach vier Tagen wieder seinen Dienst verrichten. Das Aggregat sprang sofort an und läuft bis heute ohne Beanstandungen.
Nur Diesel und Wind denkbar
Da es in der Antarktis praktisch nie windstill ist – die durchschnittliche Windgeschwindigkeit beträgt 10 Meter je Sekunde (m/s) im Jahresmittel, und das an drei Viertel aller Tage -, kann dort Windkraft recht zuverlässig genutzt werden. Die AWI-Techniker planten mit dem deutschen Marktführer Enercon eine 30 kW-Anlage. Die läuft optimal bei 13 bis 14 m/s und kann bis 35 m/s arbeiten. Bei störungsfreiem Betrieb kann sie so 120.000 kWh im Jahr in die Station einspeisen, im Idealfall sind das 12 Prozent des gesamten Energieverbrauches. Da die Anlage ein Prototyp war, gab es einige Startprobleme, die mit Jahresbeginn 2012 behoben wurden. Sollte die Anlage in dieser Konfiguration weiter gut laufen, so El Naggar, kommen optional noch weitere vier hinzu.
Vorschaubild: Unter Leitung von Dr. Saad El Naggar wurde die Energieversorgung für die Neumayer-Station III entwickelt. Alle Fotos: S. El Naggar
Dieser Beitrag erschien im Brennstoffspiegel 04/2012. Er ist nur in der Printausgabe vollständig zu lesen.
0 Kommentare