Urlaubszeit – Archivzeit
Wenn man vom Ölhandel spricht, denkt man in erster Linie an die New Yorker NYMEX oder die Londoner ICE. Den malerischen Genfer See hat dabei fast niemand vor Augen. Dabei wird dort jedes dritte Fass Rohöl gehandelt, das irgend wo auf der Welt gefördert wird – deutlich mehr als in den genannten Finanzmetropolen, deutlich mehr auch als in jeder anderen Region dieser Welt.
Dabei ist die Schweiz nicht gerade prädestiniert für Rohöl. Weder gibt es Vorkommen noch verfügt das Land über größere Raffinerien. So sieht der übergroße Teil der gehandelten Barrels niemals die Eidgenossenschaft. Vielmehr wird von hier aus ein feines Netz gesponnen von den Produzente hin zu den Verbrauchern. Das Netz wird durch den Handel gehalten. Die Schweizer Unternehmen sind denn auch vor allem Logistiker. Doch einige von ihnen reden bei der gesamten Wertschöpfungskette Up- und Downstream ein entscheidendes Wörtchen mit.
Wie es zu dieser Erfolgsgeschichte kam, die der eh schon sehr wohlhabenden Schweiz Prosperität bringt, jedoch Armut in den Förderländern zementiert, beschreibt das Buch „Rohstoff – Das gefährliche Geschäft der Schweiz“. Herausgegeben wurde es von der Nicht-Regierungs-Organisation „Erklärung von Bern“, deren inzwischen 20.000 Mitglieder sich seit 1968 für eine gerechte Globalisierung einsetzen und die heimische Bevölkerung über das Treiben der Rohstoffgiganten aufklären. Denn deren Geschäft ist ein verschwiegenes.
Und so sind die Großen der Branche, die allesamt in den Top Ten der größten Rohstoffhändler weltweit als auch der größten schweizerischen Firmen zu finden sind, denn auch nur Insidern bekannt, allen voran Vitol, Glencore oder Trafigura. Deren zum Teil erst wenige Jahre andauernder Aufstieg an die Weltspitze wird in dem Buch spannend erzählt wie ein Krimi. Erstaunlich dabei: Es genügt wissenschaftlichen Standards und hält sich an die Fakten, die in übersichtlichen Grafiken gut dokumentiert sind.
Der Rich-Boy
Da ist zum Beispiel die Geschichte von Marc Rich. Der begann einst als Rohstoff-Trader beim Traditionshaus Phibro, gründete in jungen Jahren sein eigenes, nach ihm benanntes Unternehmen und fädelte schon Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit den Mullahs in Teheran erste Öldeals ein. Das Dumme daran: Rich war Amerikaner. Und seine Landsleute sahen das nicht gern. Fortan wurde Rich mit internationalem Haftbefehl gesucht. Gut, dass er sein Domizil in der Schweiz hatte. Hier wurde nicht so genau hingeschaut und schon gar nicht ausgeliefert. Erst US-Präsident Bill Clinton hob an seinem letzten Amtstag den Haftbefehl gegen Rich auf. Doch da war sein Stern, auch wenn inzwischen milliardenschwer, längst gesunken. Andere Manager drängten ihn aus der eigenen Firma, die sie von nun an Glencore nannten – und die der heute der weltgrößte Rohstoffhändler ist. Alles, was an den einstigen Gründer erinnerte, wurde getilgt.
Verschwiegenheit ist Trumpf
Richs Erfolg ist die Blaupause auch für andere Handelshäuser, die sich aus eben jenen Gründen in der Schweiz ansiedelten: günstige Steuern, Bankgeheimnis, gut geschützte Firmen- und Privatsphäre sowie eine extrem unternehmensfreundliche Politik. So gab es mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion den nächsten großen Schub für den Rohstoffhandel in der Schweiz. Die Russen mussten neue Absatzkanäle aufbauen und möglichst internationale Preise erzielen, da ihr Öl deutlich teurer produziert wurde als zum Beispiel in den Golfstaaten. In der Schweiz fanden sich hierfür die Finanziers und kundige Händler.
Drei Firmen, Gunvor, Litasco und Mercuria, entstanden erst in den 90er Jahren und machen heute zusammen einen Umsatz von insgesamt rund 150 Milliarden Dollar im Jahr. Man darf nicht vergessen – alle drei Unternehmen sind nur wenig mehr als 10 Jahre alt. Möglich wurde diese erneute Erfolgsgeschichte nur durch die enge Verbandlung von Handel und Politik, die hier von Genf bis in den Kreml und zurück reicht.
Nichts ist spannender als die Wirtschaft – so warb ein Magazin dereinst. Dieses Buch beweist es aufs Neue.
Das Buch kann hier bestellt werden.
Zuerst veröffentlicht auf brennstoffspiegel.de
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