Kurzumtriebsplantage: das Holz wird gehäckselt und als Brennstoff für Heizungen verwendet. Die Ernte erfolgt meist einmal jährlich. Foto: Lamiot / Wikimedia / Lizenz unter CC BY-SA 3.0

CO2-​Einsparung durch Biomasse: „Lügen uns in den Sack“

von | 8. Juli 2015

Der Ener­gie­holz­anbau ist nach Angaben des Bundes­verband BioEn­ergie in Deutschland auf Wachs­tumskurs. Allein im Frühjahr 2015 pflanzten die betei­ligten Unter­nehmen rund 7 Millionen Bäume auf land­wirt­schaft­lichen Flächen neu an. 

Bundesweit wachsen inzwi­schen über 60 Millionen schnell­wach­sende Pappeln und Weiden auf rund 7.000 Hektar „Ener­giewald“ zur Erzeugung von klima­freund­lichem Brenn­stoff als Alter­native zu Kohle, Öl und Gas. Doch genau diese Klima­freund­lichkeit wird von Wissen­schaftlern, jeden­falls zu Teilen, bezweifelt. Hierzu ein Interveiw mit Helmut Haberl, Mitglied im Wissen­schaft­lichen Beirat der Euro­päi­schen Umwelt­agentur (EEA), aus dem Jahr 2011.

Die Meldung sorgte im September 2011 in der Branche, insbe­sondere bei Biomasse-​Erzeugern und Nutzern, für Aufregung: Der Wissen­schaft­liche Beirat der Euro­päi­schen Umwelt­agentur bezweifelt die Einspar­po­ten­ziale der prozentual hier­zu­lande am stärksten genutzten Erneu­er­baren Energie. 

Und das aus einem ganz simplen, rech­ne­ri­schen Grund: In der Bilanz fehlt einfach das CO2, das ständig stehende Biomasse, etwa ein Wald, einsparen würde. Ein Interview mit Prof. Dr. Helmut Haberl, Mitglied des Wissen­schaft­lichen Beirates.

Herr Professor, wie sind Sie auf den Fehler bei der CO2-​Bilanz gekommen?

Helmut Haberl: Wir haben das schon länger in der Diskussion. Ausgangs­punkt sind aufge­tretene Lücken, etwa im Kyoto-​Protokoll. Dieses sieht vor, dass die Emis­sionen bei der Biomas­se­ver­brennung nicht dem Ener­gie­sektor zuge­rechnet werden, sondern dem Land­nut­zungs­be­reich. Wenn nun aber die Biomasse aus einem Land kommt, das keine Reduk­ti­ons­ver­pflichtung hat, so werden Emis­sionen im Land­nut­zungs­be­reich vernach­lässigt – selbst dann, wenn die CO2-​Emissionen viel größer sind als jene der Fossil­energie. Dies ist etwa bei Palm­öl­ge­winnung in tropi­schen Feucht­ge­bieten der Fall. Wir arbeiten darauf hin, dass es eine einheit­liche Bilan­zierung gibt. Deswegen schlagen wir ein Berech­nungs­system vor, das die Treib­haus­gas­emis­sionen der Bioen­ergie voll­ständig erfasst. Dafür sind genaue Daten nötig, wie viel CO2 weltweit von Pflanzen gebunden wird, wie viel pflanz­liche Biomasse insgesamt wächst und wie viel die Menschen davon verwenden – für Ernährung, Futter, als Rohstoff und zur Energiegewinnung.

Das müssen recht große Mengen sein.

Die gesamte Biomasse, die Menschen derzeit weltweit nutzen, alles Holz, alle Nahrung, alles Futter der Weide­tiere und alle Faser­pflanzen, entspricht einer Ener­gie­menge von etwa 230 Exajoule* – aller­dings entzieht die Ernte dieser Biomasse den Ökosys­temen wesentlich mehr Energie, etwa durch unge­nutzte Neben­pro­dukte, durch Boden­de­gra­dation oder durch menschlich verur­sachte Feuer. Rund drei Viertel der globalen Land­fläche wird, mehr oder weniger stark, zur Produktion dieser 230 Exajoule benötigt. Um den Hunger zu verringern und eine wachsende Welt­be­völ­kerung zu ernähren, werden es in Zukunft noch mehr sein. Zum Vergleich: derzeit verbrauchen wir weltweit etwa 450 Exajoule an Fossil­energie. Ein Umstieg von Fossil­energie auf Biomasse kann daher nicht funk­tio­nieren, und selbst wenn wir einen Teil der Fossil­energie durch Bioen­ergie ersetzen wollen, müssen wir sehr genau auf die ökolo­gi­schen Effekte achten.

Könnten Sie mit wenigen Worten beschreiben, was an der Berechnung der CO2-​Emissionen falsch ist?

Es sind mehrere Fehler. Wenn es um Länder geht, die keine Reduk­ti­ons­ver­pflich­tungen laut Kyoto-​Protokoll haben, werden land­nut­zungs­be­zogene Emis­sionen etwa im Euro­päi­schen Emis­si­ons­han­dels­system gar nicht erfasst. Beim Handel der Länder unter­ein­ander werden Emis­sionen ebenfalls nicht immer gezählt.

Ein weiterer Fehler: In fast allen Emis­si­ons­be­wer­tungs­sys­temen weltweit nimmt man für Biomas­se­ver­brennung den Emis­si­ons­faktor mit Null an – lediglich die Emis­sionen von Inputs wie Dünger oder, in manchen Fällen, durch direkte Land­nut­zungs­ef­fekte werden berück­sichtigt. Ein 70 Jahre alter Wald hat 70 Jahre lang CO2 gebunden. Wenn ich den einschlage und das Holz verbrenne, ist das CO2 jahr­zehn­telang in der Luft, bis es wieder gebunden wird. Dies trägt zur globalen Erwärmung bei, wird aber bisher nicht berücksichtigt.

Und noch ein Fakt, der damit zusam­men­hängt: In Osteuropa wurde in Folge des poli­ti­schen Umbruchs vor 20 Jahren viel Ackerland aufgegeben – heute wächst dort meist Wald. Der wirkt als große Kohlen­stoff­senke und wird das noch viele Jahr­zehnte lang tun. Wenn der wieder urbar gemacht wird, wie von vielen Poli­tikern bereits ange­kündigt, würde das gebundene CO2 wieder frei­ge­setzt und fehlt für die kommenden Jahre die Kohlen­stoff­senke. Sprich: Die dort erzeugte Biomasse ist keineswegs CO2-neutral. 

Dazu kommen indirekte Land­nut­zungs­ef­fekte: Wenn etwa ein Weizenfeld in eine Bioen­er­gie­plantage umge­wandelt wird, wird der Weizen in der Regel wo anders angebaut. Dies kann zu Entwaldung und hohen CO2-​Emissionen führen.

Ist Ihr Einfluss bzw. der des Beirates groß genug, um bei der EU eine Änderung herbei­zu­führen? Und wäre dies überhaupt sinnvoll? 

Das kann ich nicht beur­teilen. Bei unserer letzten Beirats-​Sitzung Anfang Oktober in Kopen­hagen war sehr wohl großes Interesse seitens der EU-​Kommission und des EU-​Parlaments spürbar. Es ging um die Frage, ab wann diese indi­rekten Land­nut­zungs­ef­fekte berück­sichtigt werden sollen. Ursprünglich sollte die Frage erst in sieben Jahren wieder auf die Tages­ordnung. Ich hoffe, dass das nun vom Tisch ist. Meiner Meinung nach wäre es gefährlich, wenn man sich weiter ein paar Jahre in den Sack lügt. Denn dann würde man Struk­turen auch bei der Förderung aufbauen, die nicht uner­heblich sind und eine Eigen­dy­namik entwi­ckeln, Ressourcen binden usw. Die Quotie­rungen sollten aus meiner Sicht auf berei­nigten Treibhausgas-​Emissionen beruhen. Derzeit sind die gefor­derten Emis­si­ons­re­duk­tionen beschämend niedrig – nur etwa 35 Prozent – und selbst das ohne voll­ständige Treibhausgasbilanz!

Eine verän­derte Förderung sollte bei Biomasse-​Technologien die berück­sich­tigen, die technisch wirklich sinnvoll sind. Flüssige Kraft­stoffe hätten dann nicht die größte Priorität, da für sie derzeit nur Stärke- oder Ölpflanzen genutzt werden können. Das bedeutet pro Fläche einen nied­ri­geren Ener­gie­ertrag, als wenn ich die ganze Pflanze verwenden kann. 

Nur Biomasse aus Resten, wie vom Beirat empfohlen, wird nicht funk­tio­nieren, das sehen wir derzeit am Holzmarkt. Was ist in Zukunft zu empfehlen? 

Es geht nicht nur um Reste, es geht auch um degra­dierte tropische Böden, die man nutzen könnte. Also Flächen, wo früher etwas wuchs und heute nichts mehr oder nur wenig. Wenn es gelingt, dort Bioen­ergie anzubauen, ist das zusätz­licher Kohlen­stoff, der mitge­rechnet werden kann. Oder man baut Pflanzen mit höheren Erträgen an.

Welche alter­na­tiven Energien könnten für Sie einen Ersatz darstellen, immerhin ist Biomasse von den Erneu­er­baren zumindest in Mittel­europa die Nummer 1?

Direkte Solar­ener­gie­nutzung ist eine Hoffnung von mir. Ther­mische Solar­energie spielt schon eine große Rolle. Besonders in der Strom­erzeugung sollte man auf Photo­voltaik zurück­greifen. Generell werden wir in Zukunft einen komple­xeren Ener­giemix brauchen. Wir müssen weg von Königs­wegen und alle Ener­gie­träger mitein­ander verbinden. 

Im Verkehr nur einen anderen Kraft­stoff bereit­stellen, ist zu kurz gedacht. Es geht auch um Verkehrs­ver­meidung, Sied­lungs­struk­turen, Dezen­tra­li­sie­rungen der Gesell­schaft. Wir müssen in Zukunft nicht jeden Tag ins Büro fahren, könnten viel mit Tele­kon­fe­renzen abwickeln.

Wenn man Produk­ti­ons­pro­zesse in immer kürzere Inter­valle zergliedert, führt das zu einer enormen Zunahme des Verkehrs. Hier sollten wir gegen­steuern, indem wir Trans­portwege vermeiden und auch in diesem Bereich umdenken.

Wird an dem Thema weitergeforscht?

Im Moment explo­diert das regel­recht. Es erscheinen jede Woche neue Veröffentlichungen.

* 1 Exajoule = 277.778 Milli­arden Kilowattstunden(kWh)

Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Helmut Haberl

Helmut Haberl. Foto: privat

Helmut Haberl. Foto: privat

  • Mitglied im Wissen­schaft­lichen Beirat der Euro­päi­schen Umwelt­agentur (EEA)
  • Hochschul-​Lehrer am Institute of Social Ecology Vienna (SEC), Alpen-​Adria Univer­sität Klagenfurt, Wien, Graz (AAU)
  • Habi­li­tation in Human­öko­logie, Univer­sität Wien 2001
  • Doktorat in Ökologie, Univer­sität Wien 1995
  • Magister in Biologie und Mathe­matik, Univer­sität Wien 1989

Forschungs­felder

  • Energie und Gesellschaft 
  • Klima­wandel
  • Inte­grierte Landsystem-Forschung 
  • Bioen­ergie
  • Nach­hal­tigkeit und Gesellschaft-Natur-Interaktion 
  • Sozio-​ökologische Land­zeit­for­schung (LTSER)
  • Mensch­liche Aneignung von Netto­pri­mär­pro­duktion (HANPP)

Vorschaubild: Kurzum­triebs­plantage; das Holz wird gehäckselt und als Brenn­stoff für Heizungen verwendet. Die Ernte erfolgt meist einmal jährlich. Foto: Lamiot /​Wikimedia /​Lizenz unter CC BY-​SA 3.0

Der voll­ständige Beitrag erschien im Fach­ma­gazin Brenn­stoff­spiegel, Heft 11/​2011. Er ist nur dort zu lesen.

Frank Urbansky

Freier Jour­na­list und Fach­au­tor, unter anderem für die Fach­ma­ga­zine und Portale Brenn­stoff­spie­gel, Uniti; DW Die Woh­nungs­wirt­schaft und Immo­bi­li­en­wirt­schaft; Haufe-Lexware; Energie&Management; IVV, Huss Medien; Motor­tech­ni­sche Zeit­schrift und Sprin­ger­Pro­fes­sio­nal; Sprin­ger Fachverlag; SHK Profi und tab, Bau­ver­lag; stadt+werk, k21

7 Kommentare

  1. Kilian Rüfer

    Mir fehlt in den Ausfüh­rungen eine Aussage zu schnell­wach­senden Gehölzen und Agro­forst­sys­temen. Das kam mir damals als kleiner Projekt­be­tei­ligter des Forschungs­pro­jektes BEST ganz vernünftig vor http://​best​-forschung​.uni​-goet​tingen​.de/. Viel­leicht kann sich Herr Haberl dazu äußern.

    Biomasse ist mit Sicherheit die erneu­erbare Ener­gie­quelle, bei der man die diffe­ren­zier­teste Betrachtung braucht.

    • Frank Urbansky

      Ich kann ihn bei Gele­genheit fragen, denke aber, dass er das ebenso kritisch sieht, weil seiner Ansicht nach ja auch ein Ener­gie­holzwald erst mal wachsen muss, um die gleiche Menge CO2 zu binden, die ein eventuell dort zuvor stehender Wald band.

      • Kilian Rüfer

        Salopp gesagt ist die Vermutung Käse: Kurzum­triebs­plan­tagen werden auf vorher land­wirt­schaftlich genutzten Flächen angelegt. Besonders sinnvoll sind Grenz­ertrags­standorte – sprich schlechte Böden. Wenn es zu groß­flächig wird, dann hat man wieder die Nachteile der Mono­kultur und den Schäd­lings­druck. Der Vorteil der mehr­jäh­rigen Kultur: Man muss den Boden nicht jährlich bear­beiten und braucht auch keine Dünger.

        • Frank Urbansky

          Das mag isoliert für Deutschland so gelten. Haberls Ansatz ist aber global. Er spricht ja auch von degra­dierten tropi­schen Böden, auf denen man durchaus Nutz­pflanzen mit höheren Erträgen anbauen könnte. Das passiert aber nicht oder nicht ausrei­chend. Noch ein Beispiel: In Deutschland werden jährlich 1,8 Mio. Tonnen Pellets gebraucht. Nach Bran­chen­schät­zungen kommen inzwi­schen 700.000 aus Osteuropa. Dort werden teils dafür ganze Wälder geschrotet und eher nicht wieder­auf­ge­forstet. Da bringen es ein paar deutsche Nutz­holz­plan­tagen eher nicht. Ich betrachte den Markt insgesamt, sehe also die Nutz­holz­plan­tagen als Teile eines großen Puzzles, das hinsichtlich der CO2-​Bilanz nicht ganz stimmig ist.

          • Kilian Rüfer

            Diese Plantage würde man an vielen Orten anbauen können. Im Süden ist es dann mehr Euka­lyptus als Pappel. Bei den Plantagen für sich stimmt die Bilanz, wenn es Ackerland bleibt. Wenn es um Wieder­auf­forstung gehen würde, dann ist es etwas Anderes. Man darf eben nicht mehr verbrauchen als nach­wächst und dafür muss überhaupt erst mal etwas wachsen.

            Was den Raubbau betrifft, da sehen wir das gleiche Problem. Es ist auch so, dass die Schwelle dessen was in BRD nach­wächst und was verbraucht wird bereits über­schritten sein dürfte. Sprich: Wer heute Pellets macht, der unter­stützt mit einer guten Warschein­lichkeit diesen entsetz­lichen Raubbau.

  2. Dude

    Demnach ist hydro­thermale Karbo­ni­sierung nach Ihrer Ansicht auch gescheitert?!?!

    • Frank Urbansky

      Bei hydro­ther­maler Karbo­ni­sierung sehe ich den hohen Ener­gie­einsatz generell proble­ma­tisch. Da ist einfaches Verbrennen, etway von Holz oder Pellets, wohl tatsächlich effektiver.

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