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Euro­päische Haupt­städte im Energie-Vergleich

von | 7. Juli 2017

Aktuelle Entwick­lungen in der (Energie-)Politik, wie die Auswir­kungen der Golf-​Krise auf die Öl- und Gasmärkte oder der kürzliche Rücktritt der USA aus dem Pariser Klimaschutz-​Abkommen lenken Europas Aufmerk­samkeit im Moment nach außen. Wenn das Versprechen der EU, bis 2030 die Treib­haus­gas­emis­sionen (verglichen mit 1990) um 40% zu senken, jedoch einge­halten werden soll, muss Europa den Blick aber bald nach innen wenden, um die eigenen Schwach­stellen in der Ener­gie­po­litik auszubessern.

Die inter­aktive Karte 19 euro­päi­scher Haupt­städte erklärt Gründe für die teilweise sehr unter­schied­lichen Werte im Ener­gie­ver­brauch und der CO2-​Emissionen und welche Maßnahmen die Regie­rungen schon ergreifen, um zum Umwelt­schutz beizutragen.

Ein offen­sicht­licher, aber wichtiger Faktor beim Ener­gie­ver­brauch ist das Klima. Para­de­bei­spiel dafür sind die skan­di­na­vi­schen Länder Europas. Islands Haupt­stadt Reykjavik hat mit 204.490,29 kWh den mit Abstand höchsten Energieverbrauch-​Pro-​Kopf in Europa. Zur besseren Vorstellung: den Median bildet in diesem Vergleich der 19 Haupt­städte Brüssel, mit 24.132,25 kWh.

Reykjavik braucht am meisten

Der extrem hohe Ener­gie­ver­brauch Reykjaviks kommt zustande, weil die Stadt auf Grund des sehr kalten Klimas (die Durch­schnitts­tem­pe­ratur im wärmsten Monat Juli beträgt 11°C) und den wenigen Sonnen­stunden im Winter viel Strom verbraucht. Heizungen sind also fast das ganze Jahr über unverzichtbar.

Aller­dings kann die islän­dische Haupt­stadt Treib­haus­gas­emis­sionen trotz allem gering halten, denn 81% der produ­zierten Energie des Landes ist erneu­erbar und 90% der Heiz­energie wird aus Erdwärme gewonnen, wodurch Island einen relativ kleinen Anteil des CO2-​Fußabdrucks der EU verant­worten muss.

Versmogtes Europa?

Auf Platz zwei im Ranking der euro­päi­schen Haupt­städte mit dem höchsten Pro-​Kopf-​Energieverbrauch folgt Dublin. Der statt­liche Verbrauch von 43.449,68 kWh pro Einwohner hat jedoch ganz andere Ursachen, als im Fall Reykjaviks. Das gemäßigte Klima Irlands gibt hier nämlich keinen Anlass zur Sorge, sondern das starke Verkehrs­auf­kommen und der damit verbundene hohe Benzin­import der Iren. Das hat zur Folge, dass Dublin die höchsten Treibhausgas-​Emissionen-​pro-​Kopf in Europa erzeugt.

Ähnlich sieht es in Brüssel oder Rom aus. 63% der Belgier fahren täglich mit dem Auto zur Arbeit, in der italie­ni­schen Haupt­stadt sind es 56%. Städte wie Paris oder Budapest versuchen die Zahl der Auto­fahrer zu senken, in dem sie strenge Auflagen einführen, die ältere Fahrzeuge im Stadtkern verbieten. In Budapest fahren auf Grund einer hohen Maut zum Beispiel nur noch ca. 31% Auto.

Ein weiteres Vorbild für die Senkung von CO2-​Emissionen ist Kopen­hagen: nur 29% der Einwohner besitzen überhaupt ein Auto. Bis 2025 soll die dänische Stadt sogar als erste der Welt CO2-​neutral werden. Dafür sollen der öffent­liche Nahverkehr, so wie Fahrrad- und Fußgän­gerwege ausgebaut und der CO2-​Ausstoß von Bussen, Zügen und Bahnen durch umwelt­freund­liche Tech­no­logien weiter gesenkt werden.

Momentan wird 17% des gesamten Ener­gie­ver­brauchs und 27% der elek­tri­schen Energie durch grüne Ener­gie­quellen gedeckt. Das Ziel der Kopen­ha­gener von 2005, die CO2-​Bilanz bis 2015 um 20% zu senken, wurde bereits 2011 erreicht.

CO2-​Schleuder Deutschland

Berlin befindet sich im Vergleich, mit einem Pro-​Kopf-​Verbrauch von 24.225,29 kWh, auf Platz 9. Es wird erwartet, dass sich im Laufe dieses Jahres der Strom­ver­brauch um ca. 0,7% gegenüber 2016 erhöhen wird, was sich mit der guten Konjunktur und der verstärkten Zuwan­derung seit 2015 erklären lässt.

Innerhalb der EU führt Deutschland mit Abstand die Spitze der Treibhausgas-​Schuldiger an und scheint in diesem Jahr schon im April das CO2-​Jahresbudget verbraucht zu haben, welches sich laut des Pariser Klima­ab­kommens auf durch­schnittlich 220 Millionen Tonnen pro Jahr belaufen sollte. Das Ziel, bis 2020 den Treibhausgas-​Ausstoß um 40% im Vergleich zu 1990 zu senken, scheint demnach unwahr­scheinlich. Mögliche Ansätze, wie zum Beispiel die disku­tierte CO2-​Steuer, könnten Verän­derung bringen.

Momentan impor­tiert Deutschland mehr als die Hälfte seiner Energien, darunter insbe­sondere fossile Energien und (1÷3 der Gesamt­energie) saubere Energien aus näherer Umgebung. Um die Treibhausgas-​Emissionen zu redu­zieren, soll der Anteil erneu­er­barer Energien bis 2050 auf 80% erhöht werden.

Die grünen Städte Europas

Als Vorbild dafür könnte Wien gelten. Der Anteil der erneu­er­baren Energien am Gesamt­ver­brauch liegt dort momentan bei 14%, das ist doppelt so hoch wie der euro­päische Durch­schnitt. Durch die günstige Lage an den Alpen, können die Öster­reicher enorm von ihren Wasser­res­sourcen profi­tieren. Verglichen mit dem Anteil der Wasser­kraft an der Brut­to­strom­erzeugung in Deutschland (3,3% im Jahr 2016), wird klar, dass Öster­reich mit fast 70% seine natür­lichen Ressourcen bestens nutzt. Zusätzlich fördern Projekte, wie der Inns­brucker Passiv­haus­komplex, eine Senkung des Ener­gie­ver­brauchs und damit auch der Nebenkosten.

Auch Stockholm und Oslo können von ihrer geogra­fi­schen Lage Gebrauch machen.
In Stockholm wird zum Beispiel die Energie für den Bahn­verkehr ausschließlich aus Wind- und Wasser­en­ergie gewonnen und 80% des Wärme­be­darfs werden mit aus Abfall gewon­nenen Energien gedeckt. Ab 2050 soll sogar komplett auf fossile Brenn­stoffe verzichtet werden.

In der norwe­gi­schen Haupt­stadt hingegen wird Abfall aus England impor­tiert und für die Heiz­ener­gie­ge­winnung genutzt.Oslos niedriger CO2-​Ausstoß pro-​Kopf, der mit weniger als der Hälfte des euro­päi­schen Durch­schnitts der nied­rigste in Europa ist, hängt unter anderem mit den zahl­reichen lokalen natür­lichen Rohstoffen, als auch mit den Anstren­gungen der Regierung zusammen: der hohe Gebrauch erneu­er­barer Energien, insbe­sondere im öffent­lichen Transport, und die oft gelobte Ener­gie­ef­fi­zienz machen Oslo zur umwelt­freund­lichsten Stadt Europas.

Die drei Haupt­städte mit dem geringsten Ener­gie­ver­brauch? Prag, Warschau und Lissabon.
Obwohl Prag mit einem Ener­gie­ver­brauch von 18.654,52 kWh pro Einwohner im Europa-​Ranking auf Platz 17 kommt, also am dritt-​wenigsten verbraucht, haben die Polen einen der höchsten CO2-​Verbrauchswerte im euro­päi­schen Raum, da Energie aus Kohle­kraft­werken gewonnen wird, die zum Teil älter als 60 Jahre sind.

In Warschau, Polen, sieht es ähnlich aus. Zwar wird versucht Kohle­kraft­werke durch Ener­gie­ge­winnung aus Abfall zu ersetzen und so die CO2-​Emissionen zu redu­zieren, aber Stein­kohle deckt noch immer einen Großteil des polni­schen Ener­gie­be­darfs ab.

Die daraus resul­tie­rende schlechte Luft in Polens Haupt­stadt ist gesund­heitlich und umwelt­tech­nisch stark bedenklich, doch gelten erneu­erbare Energien noch als zu teuer und unzu­ver­lässig, was dazu führt, dass Strom- und Wärme­en­er­gie­er­zeugung in der Haupt­stadt für 78% der gesamten Treib­haus­gas­emis­sionen im Land verant­wortlich sind.

Der Gewinner im Energieverbrauchs-​Ranking heißt Lissabon. Der Verbrauch der portu­gie­si­schen Haupt­stadt liegt bei gerade mal 13.502,43 kWh. Trotz hohem Auto­verkehr in der Stadt, gelang es die CO2-​Emissionen zwischen 2002 und 2016 insbe­sondere durch Gebäu­de­sa­nie­rungen zu halbieren. 67% des Strom­ver­brauchs des Landes werden über erneu­erbare Energien gedeckt (Stand 2015).

Für die Zukunft heißt das…?

Dass selbst mit Verein­ba­rungen wie dem Kyoto-​Protokoll oder jetzt dem Über­ein­kommen von Paris, nicht alle Staaten glei­cher­maßen um die Ener­gie­wende bemüht sind – und viel­leicht geht das auch gar nicht.

Sowohl wirt­schaft­liche, als auch geogra­phische Faktoren bedingen die Möglich­keiten eines Landes den Ener­gie­ver­brauch und den CO2-​Fußabdruck zu verringern. Darunter zeigt gerade Skan­di­navien auf, dass klima­tische und geogra­phische Bedin­gungen die Ener­gie­po­litik eines Landes maßgeblich lenken. Andernorts, wie in Osteuropa, hat spätes wirt­schaft­liches Wachstum zur Folge, dass Kohle­kraft­werke noch nicht ersetzt werden konnten.

Es bleibt nur abzu­warten, wie sich der Ener­gie­sektor in den nächsten Jahren weiter­ent­wi­ckeln wird und welche Lösungen dann eventuell vorhanden sein werden, um jeder Stadt die notwen­digen Mittel bereit­zu­stellen, die benötigt werden, um der Klima­er­wärmung und der Rohstoff­knappheit entgegenzuwirken.

Frank Urbansky

Freier Jour­na­list und Fach­au­tor, unter anderem für die Fach­ma­ga­zine und Portale Brenn­stoff­spie­gel, Uniti; DW Die Woh­nungs­wirt­schaft und Immo­bi­li­en­wirt­schaft; Haufe-Lexware; Energie&Management; IVV, Huss Medien; Motor­tech­ni­sche Zeit­schrift und Sprin­ger­Pro­fes­sio­nal; Sprin­ger Fachverlag; SHK Profi und tab, Bau­ver­lag; stadt+werk, k21

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